Über 20 Jahre haben Bauern rund um Brandenburg der Berliner Milcheinfuhr-Gesellschaft (BMG) ihr wichtigstes Produkt anvertraut. Jetzt sieht alles danach aus, als würde die plötzliche Insolvenz des traditionsreichen Handelshauses auf dem Rücken der Erzeuger ausgetragen. Für im Januar und Februar gelieferte und nicht oder nur anteilig bezahlte Milch ist den sieben zur Milcherzeugergemeinschaft Brandenburg an der Havel gehörenden Mitgliedsbetrieben vermutlich ein Gesamtschaden von über 600.000 Euro entstanden. Angesichts der unverändert angespannten Lage bei den Erzeugerpreisen und den Investitionen in neue Melkanlagen ein schwerer Schlag ins Kontor.
Nicht über Schieflage informiert
Ob die Milchbauern aus Ziesar, Krahne, Netzen, Rogäsen, Golzow, Fohrde und Pritzerbe eines Tages noch an ihr Geld kommen, steht in den Sternen. Dem Vernehmen nach hatte sich bei der nicht mehr liquiden BMG ein zweistelliger Millionenbetrag angehäuft. „Die haben das Ding ohne Vorwarnung gegen die Wand gefahren“, ärgert sich Elard von Gottberg über die BMG-Bosse, die ihre 21 Gesellschafter bis zum Schluss über die dramatische Schieflage des Unternehmens im Unklaren ließen. Von Gottberg ist Vorstandsvorsitzender der Fiener Agrargenossenschaft Ziesar-Bücknitz und führt ehrenamtlich die Milcherzeugergemeinschaft Brandenburg an der Havel an.
Andere Abnehmer gefunden
Die Berliner Milcheinfuhr-Gesellschaft (BMG) blickt auf ein über 100-jähriges Bestehen zurück. Wie es heißt, sollen innerbetriebliche Fehlentscheidungen die Firma in den Abgrund gerissen haben. Am 9. März meldete die BMG Insolvenz an.
Den operativen Geschäftsbetrieb mit dem An- und Verkauf von Rohmilch stellte die BMG am 14. März ein. Die Milcherzeugergemeinschaft Brandenburg an der Havel hatte sich bereits zum 1. März einen neuen Abnehmer gesucht.
Rund 950 Millionen Liter Rohmilch hatte die BMG deutschlandweit den Bauern abgenommen. Das sind drei Prozent der deutschen Milchmenge. Der BMG-Anteil ist inzwischen weitgehend von anderen Abnehmern aufgenommen worden.
Die Erzeugergemeinschaft bündelte in der Vergangenheit die Interessen und die Milchmenge in den Vertragsverhandlungen mit der BMG, die Rohmilch aufkaufte und an Weiterverarbeiter verkaufte. Der Zusammenschluss zu einer Erzeugergemeinschaft hat sich in der aktuellen Krisensituation als Glücksfall herausgestellt. „Wir haben nicht erst bis zum 14. März gewartet, als die BMG ein Abholestopp verkündete“, sagte von Gottberg der MAZ. Dann hätten die Milchbauern über Nacht ein großes Problem gehabt. Doch schon die Einführung eines neuen Preissystems im Januar und das strittige Milchgeld im Februar veranlassten die Betriebe der Erzeugergemeinschaft nach einigen Krisensitzungen selbst in die Offensive zu gehen. Sie einigten sich auf einen Lieferstopp.
Milch geht nach Gransee
Zum letzten Mal wurde deshalb zwischen Havel, Fiener Bruch und Plane bereits am 28. Februar Milch in die Tankwagen der BMG gepumpt. Da tobte schon die Gerüchteküche über die katastrophale Lage bei dem Berliner Milchhändler, der selbst keine Molkerei betreibt. An eine Insolvenz wollte noch niemand glauben. Die Brandenburger Milchbauern hatten dagegen vorgesorgt. Von Gottberg war bereits auf der Suche nach einem neuen Abnehmer für die rund 25 Millionen Liter Milch, die seine Erzeugergemeinschaft im Jahr auf den Markt bringt. Bei der Fude + Serrahn Milchprodukte GmbH mit Sitz in Hamburg wurde der Vorstandsvorsitzende aus Ziesar fündig. Das weltweit operierende Produktions- und Handelsunternehmen betreibt unter anderem die Molkerei in Gransee. Dort wird seit Anfang März die bisher von der BMG aufgekaufte Milch aus dem Altkreis Brandenburg verarbeitet.
Die erste Auszahlung des Milchgeldes ist Ende März fällig. „Ich hoffe, dass wir mit über 30 Cent je Liter über das Jahr kommen. Alles darunter wäre für uns Milcherzeuger verheerend. Uns steckt immer noch die große Preiskrise von 2015/16 in den Knochen“, so von Gottberg. Seine Fiener Agrargenossenschaft muss um offene Forderungen von über 100 000 Euro Milchgeld bangen. Bei anderen Unternehmen ist es noch mehr. In die Bredouille bringt die BMG-Pleite auch kleine Familienbetriebe, wie den von Wolfgang Vogeler in Fohrde. Nach einem ersten Überschlag geht der Landwirt von über 10 000 Euro aus, die ihm noch an Milchgeld zustehen würden. Nach vielen Nackenschlägen, Regulierungen und Preisverfällen in der Landwirtschaft denkt der Fohrder erstmals öffentlich darüber nach seinen Betrieb in absehbarer Zeit aufzugeben.
Große Agrargenossenschaften dagegen haben erst in jüngster Zeit viel Geld in die Modernisierung der Milchproduktion gesteckt, die für bedeutende Grünlandstandorte überlebenswichtig ist. „Wir bekennen uns zur Milch, doch dafür sind faire Preise nötig“, bekräftigt von von Gottberg.
Von Frank Bürstenbinder