Die ersten 26 Flüchtlinge sind in das frühere Gebäude der Nicolaischule eingezogen. Unter ihnen ist auch eine junge Mutter aus Afghanistan. Ihr Sohn Fadin kam am 1. September während der Flucht zur Welt. Begonnen hatte diese in den ersten Julitagen. Jetzt, ein halbes Jahr später, kann die Familie zur Ruhe kommen nach den erlebten Strapazen. Fadin ruht warm eingepackt im Arm seiner Mutter im Spielzimmer, das früher ein Klassenraum war. Ein großer dunkelgrüner Fleck an der Wand markiert die Stelle, an der die Tafel hing.
Während einen Steinwurf entfernt Jungen und Mädchen der Gotthardt- und Katharinengemeinde in der Nikolaikirche das Krippenspiel für Weihnachten einstudieren, räumen junge Männer aus Afghanistan und Kasachstan den Speisesaal der neuen Flüchtlingsnotunterkunft ein. Biertischbank steht an Biertischbank. Eine große Spüle wartet noch auf dem Hof auf ihre Installation.
160 Betten stehen schon bereit
Das alte Schulgebäude ist riesig. Noch sind erst wenige Räume belegt. Doch 160 Betten stehen schon bereit. „Wir sind in der absoluten Aufbruchstimmung, noch am Dienstag hatten wir hier nicht einmal einen Schreibtisch im Büro“, berichtet Hartmut Donth. Der Sozialarbeiter leitet die Flüchtlingsnotunterkunft. Andreas Griebel, Kreis-Vorstand des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), spricht von Lieferengpässen. Möbel sind zu spät geliefert worden. Küchenschränke stehen erst halb aufgebaut an ihren Plätzen. Ehrenamtler haben ihre Hilfe bereits angekündigt.
Zahlen und Fakten
Das frühere Gebäude der Nicolaischule ist die fünfte Flüchtlingsunterkunft, die die Stadt binnen weniger Monate für Zuflucht suchende Menschen aus Krisenregionen zur Verfügung stellt.
Bereits im Herbst eröffnete die Notunterkunft in einem früheren Bürogebäude in der Hafenstraße in Kirchmöser. Dort leben ausschließlich alleinreisende Männer. In einem alten Kita-Gebäude in der Sophienstraße in Hohenstücken finden Familien Obdach. An der Regattastrecke ist ebenfalls eine Notunterkunft eröffnet worden. Eine dauerhafte Einrichtung soll dagegen das frühere Bürogebäude an der Fohrder Landstraße werden, das ebenfalls bereits bezogen ist.
Im Flüchtlingsheim in der Flämingstraße in Nord leben mittlerweile 300 Männer, Frauen und Kinder aus Krisen- und Kriegsregionen der Welt. Betrieben wird auch diese Einrichtung vom Deutschen Roten Kreuz.
Das Deutsche Rote Kreuz sucht ständig weitere Sozialarbeiter und auch Lehrer, um personell mit dem Zustrom an Flüchtlingen mithalten zu können. Wie Kreisvorstand Andreas Griebel sagte, seien gerade Lehrer mit Sprachkenntnissen für die Betreuung von Flüchtlingen sehr willkommen.
In den vergangenen beiden Wochen kamen mehr Familien als alleinreisende Männer in Brandenburg an. Auch deswegen ist das Spielzimmer erst spärlich eingerichtet. Spielsachen hat das DRK von Spenden der Brandenburger ausreichend. „Wir bräuchten aber noch einen großen Teppich, vielleicht kann eine Firma helfen“, sagt Griebel. Derweil toben die fünf Kinder von Achmet und Sore Kasimi durch die Gänge. Die Großfamilie bewohnt einen 50 Quadratmeter großen Raum mit provisorischen Betten und Schränken. Auch ein Kühlschrank steht für jedes Zimmer bereit. Privatsphäre zu schaffen, ist Heimleiter Donth wichtig. Rund um die Uhr sind Mitarbeiter des DRK im Haus. Die Eingangstür kann nur von innen geöffnet werden. Ein mannshoher fester und neugezogener Metallzaun grenzt das Areal der Notunterkunft vom Geländer der neuen Nicolaischule ab.
Im Februar ist der Umzug in die Rolandkasernen geplant
Sozialbeigeordneter Wolfgang Erlebach (Die Linke) ist zuversichtlich, dass der Umzug der Flüchtlinge im Februar vom Nicolaiplatz in die früheren Kasernen ristgerecht erfolgen wird.
Doch bis dahin muss aus dem alten Schulhaus eine Zufluchtstätte für dutzende Menschen werden. Toiletten und Duschen sind über dem Hof nur zu erreichen. Bei Frost eine zugige Angelegenheit. Neben der neuen Küche über dem Sanitärtrakt ist ein Raum voller Waschmaschinen. An den Wänden hängen mehrsprachige Piktogramme. Mülltrennung wird dort auf syrisch und deutsch erklärt. „Noch ist das ein Chaos, aber das war es in der Notunterkunft in der Hafenstraße anfangs auch.“ Christian Griebel, der von einem Termin zum nächsten hetzt, strahlt in all dem Trubel dennoch große Ruhe aus: „Die ersten Tage, da geht alles immer drunter und drüber, doch dann fügt es sich.“
Von Marion von Imhoff