Fünfeinhalb Stunden lang sind am Freitagmorgen die Verkehrsbetriebe Brandenburg VBBr bestreikt worden. Von 3.30 bis 9 Uhr verließ kein Bus und keine Straßenbahn den Betriebshof in der Upstallstraße, die komplette Frühschicht hatte sich vor dem Tor versammelt.
Verdi kündigt weitere Streiks im Nahverkehr an >
Anlass für den zeitweiligen Ausstand waren die stockenden Tarifgespräche für die 16 Nahverkehrsunternehmen, die zum Kommunalen Arbeitgeberverband im Land Brandenburg gehören. Die Konflikte lassen sich nicht einfach aus „Mehr Geld“ oder „Mehr Urlaub“ reduzieren, vielmehr sind sie vielschichtig und seit mehr als 15 Jahren ungelöst. Im Tarifvertrag für Nahverkehrsunternehmen TVN gibt es zwei Gehaltstabellen – eine für Beschäftigte, die vor dem Jahr 2001 eingestellt wurden, und eine für danach Eingestellte. Danach verdienten die Jüngeren bis zu einige Hundert Euro im Monat weniger als die Altgedienten. Die Arbeitgeber hatten nun erstmals angeboten, die beiden Tabellen zusammenzuführen – für die „Alten“ sollte es nicht schlechter, für die „Jungen“ aber besser werden. Im konkreten Fall der Fahrer – sie stellen etwa drei Viertel des Personals – bedeutet das, er bekommt ab Einstellung in der Stufe 2 der Entgeltgruppe 5 ein Brutto von 2020 Euro statt 1908 Euro. „Aber darüber hinaus bieten die Arbeitgeber nur sehr wenig für die meisten weiteren Beschäftigten an. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein großer Teil der langjährig Beschäftigten mit Einmalzahlungen im Wert von 0,8 Prozent abgespeist werden sollen“, sagt Marco Pavlik. Er ist Verhandlungsführer für die Dienstleistungsgesellschaft Verdi. Im Klartext heißt das: Die Altgedienten wollen auch Zählbares aus der Tarifrunde mitnehmen. In der Verhandlungskommission sitzen zudem auf Verdi-Seite nur Vertreter der schon länger Beschäftigten. Zudem würden die Arbeitgeber ein Anheben der Arbeitszeit im berlinnahen Raum auf 40 Stunden und im ländlichen Raum auf 37 Stunden pro Woche ohne nennenswerten Ausgleich fordern.
Der Kommunale Arbeitgeberverband im Land Brandenburg verweist darauf, dass nicht nur deutlich mehr Geld fürs Personal ausgegeben werden soll, sondern es wurden ein Erhöhen des Jahresurlaubs auf bis zu 30 Tage sowie Einmalzahlungen angeboten. Zudem solle die Entschädigung für geteilte Dienste erhöht werden – wenn ein Fahrer beispielsweise morgens im Schülerverkehr und dann erst nach längerer Pause am Nachmittag wieder fährt.
Gestreikt wurde am Freitag nur in Brandenburg an der Havel. „Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, nicht so verrückt wie vor zwei Jahren zu streiken, sondern eine sanfte Variante zu wählen“, sagt Pavlik. In den VBBr sei der Verdi-Organisationsgrad sehr hoch, das rühre noch aus den harten Streiks von 1998, damals seien viele Mitarbeiter in die Gewerkschaft gegangen. Zudem sind ebenfalls VBBr-Mitarbeiter in der Verhandlungskommission.
Drei Verhandlungsrunden hat es bislang gegeben, die jüngste am 23. Januar. Die nächste ist für den 16. Februar geplant, noch davor könnten weitere Aktionen folgen, kündigt der Gewerkschafter an.
„Ich bin total überrascht, weil diese Aktion mitten im Gesprächsprozess erfolgt. Zudem bin ich stocksauer, dass sich Verdi ausgerechnet den Tag ausgesucht hat, an dem es Zeugnisse gibt, an dem viele Familien in den Urlaub starten wollen und dann die Ferien in diesem Chaos beginnen müssen“, zürnt VBBr-Geschäftsführer Jörg Vogler. Er empfinde es auch als ein Aufkündigen der Solidarität zwischen den Kollegen untereinander, wenn nicht nur Ungerechtigkeiten aufgehoben werden sollen, sondern die Älteren gleich wieder mehr haben wollen.
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Von André Wirsing