Will man etwas über die Geschichte von Orten wissen, sind Unterlagen aus den Kirchenarchiven eine gute Quelle. Über Jahrhunderte waren Klöster die Zentren der geistigen und technologischen Entwicklung und die Kirchengeschichte ist neben denen der weltlichen Herrscherfamilien über Jahrhunderte gut dokumentiert. Geistliche waren die Geschichtsschreiber ihrer Zeit, verfassten Chroniken. So erfolgte auch die erste urkundliche Rathenows als „ratenowe“, gemeinsam mit zehn weiteren Orten, am 28. Dezember 1216 in einer Urkunde des Brandenburger Bischofs Siegfried II.
Die einzige Unterlagen
Bis zur Einführung der obligatorischen Zivilehe in Preußen 1874 während des Kulturkampfes des Staates mit der katholischen Kirche waren Kirchenbücher die einzigen Unterlagen, in denen man noch heute Familien- und Ortsgeschichten recherchieren kann. Kirchen sind, zumindest in Teilen, die ältesten noch bestehenden Gebäude einer Stadt. So auch in Rathenow. Ein erster Kirchenbau als spätromanische Basilika stammt aus der Zeit um 1190, vermutlich sogar schon ab um 1108. Spätere Bauphasen, wie um 1345, im 16. Jahrhundert, zwischen 1727 und 1779 gaben dem Gotteshaus sein heutiges Gesicht.
Der Turm wurde im Jahr 1828 hergestellt
1828 wurde der heutige Turm fertiggestellt. Eine der drei Glocken, die so genannte Türkenglocke, stammt noch aus dem Jahr 1400. Als 1539 in der Mark die Reformation durchgesetzt wurde, wirkte Peter Richter 1540 bis 1548 als erster evangelischer Pfarrer an Sankt-Marien-Andreas. Ab Mitte der 1990er Jahre erfolgte mit dem Förderverein die Sanierung der im Krieg stark zerstörten Kirche.
Nach dem feierlichen Festgottesdienst der elf Brandenburger Städte mit Bischof Markus Dröge und Ministerpräsident Dietmar Woidke im Brandenburger Dom am 17. Januar lud die evangelische Gemeinde am Pfingstmontag zu einem ökumenischen Festgottesdienst in die Sankt-Marien-Andreas-Kirche ein. „Ich habe gelesen, dass man in Rathenow gut sehen kann. Rathenow hat als Stadt der Optik eine lange Tradition“, gratulierte Propst Christian Stäblein in seiner Predigt zum Stadtjubiläum, die neben Bürgermeister Ronald Seeger (CDU) rund 200 Gäste verfolgten. „Um die Botschaft des Evangeliums zu sehen, braucht es eine besondere Brille, die Brille des Glaubens. Es ist aber keine rosarote Brille der Realitätsverklärung. In der Brechung des Lebens wird erst die Buntheit des Lichtes erzeugt.“
Rathenow hat sich sehr verändert
Der Propst der evangelischen Landeskirche trat sein Amt als theologischer Leiter des Konsistoriums, der obersten Verwaltungsbehörde der Landeskirche in Berlin, und damit Stellvertreter des Bischofs im letzten Sommer an. In seiner Predigt verwies er auch die wechselvolle Stadtgeschichte und kam mit den „wunderbaren“ Chorfenstern, die das Licht brechen auf das Bilder Glaubensbrille zurück. „Seit ich vor zehn Jahren nach Rathenow kam und meinen Dienst als katholischer Pfarrer antrat, hat sich in Rathenow sehr viel verändert“, trat Bernhard Scholtz noch einmal ans Mikrofon und bezeichnete Kirchen als Gaststätten der Seele. „Kirchen sind mehr als Versammlungsräume. Mit ihren weithin sichtbaren Türmen geben sie Orientierung und den Menschen ein Stück Identifikation. Eine Stadt ist mehr als die Summe ihrer Häuser.“
Personen aus der Geschichte der Stadt
Den Gottesdienst, dem auch ein Burgfräulein und eine Magd aus dem Mittelalter, ein schwedischer Soldat aus dem Dreißigjährigen Krieg und die preußische Prinzessin Victoria Luise (vier Schauspieler von „Lichtblick“) beiwohnten, gestalteten der Chor und die Bläser der Kantorei unter Leitung von Christiane Görlitz. Zum Gottesdienst verkaufte Anna Barsch knapp 50 ihrer Acrylgemälde. „Der Erlös soll für die Arbeit mit den Flüchtlingen verwendet werden“, so die Rathenowerin Malerin. Zur Veranstaltung „Mit Musik um die Welt“ in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche am 3. Juni kann man weitere Bilder von Anna Barsch erwerben.
800 Minuten Bibellesen
Am 24. Juni findet 8 bis 21.20 Uhr in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche die Veranstaltung „800 Minuten Bibellesen“ zum Stadtjubiläum statt. Neben dem Modell der Stadt um 1800 ist im Seitenschiff der Kirche noch das elf Meter lange und 1,85 Meter hohe Riesenfotos aus Kunststoff beschichtetem Material des Theaters Lichtblick zu sehen. Die Ensemblemitglieder stellen in 19 verschiedenen Bildern kostümiert die Geschichte der Stadt von der slawischen Besiedlung ab 375 bis heute dar.
Von Uwe Hoffmann