„Das war eine gute Unterbrechung“, findet Detlef Almagro Velàzquez, DGB-Gewerkschaftssekretär, als sich der Demonstrationszug zum 1.Mai am Sonntagmorgen nach dem Stopp an der evangelischen Kirche in Hennigsdorf wieder in Bewegung setzt. Das hatte es in all den Jahren zuvor noch nicht gegeben: Den Segen für die Demonstrierenden.
Waren noch wenige Minute zuvor auf der Berliner Straße die Fanfaren des Musikzugs der Hohen Neuendorfer Feuerwehr tonangebend gewesen, schwiegen die Musiker beim Passieren des Gotteshauses. Pfarrer Clemens Liepe hatte das Wort. Er hatte seinen Gottesdienst unterbrochen, war vor die Kirche getreten und entdeckte zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen sich Christen und Demonstranten: „Uns verbinden viele Anliegen, nicht nur die zeitliche und räumliche Schnittstelle während des Umzugs.“ Man sei in Gedanken und Taten verbunden. So stehe schon in der Bibel, das nach sechs Tagen Arbeit ein freier Tag notwendig sei, so Liepe. Dass es ein Auskommen mit dem Einkommen geben müsse, dass ältere Menschen, die Umwelt und auch Fremde zu schützen seien. Dass jeder Mensch Anspruch auf ein würdevolles Leben habe.
Alles Forderungen, die auch den rund 150 Teilnehmern der Kundgebung, organisiert von Gewerkschaften, SPD und Linken, nicht fremd sind . Haben sie sich doch 2016 „Es ist Zeit für mehr Solidarität“ auf die Fahnen geschrieben. So sind ihre Hauptthemen die Integration von Flüchtlingen, Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, faire Löhne und die Stärkung der gesetzlichen Rente.
Themen die auch in den anschließenden gewerkschaftlichen und politischen Reden vor dem Rathaus wiederzufinden sind. Doch trotz wichtiger Botschaften ist das Interesse der Bürger gering. Sind schon die Teilnehmerzahlen an der Kundgebung stark rückläufig, ist die Konzentration auf die Reden nach der Demonstration noch schwächer. Zu verlockend sind Gulaschkanone, Bierstand, Kuchenbuffet und Spielgeräteangebot. Es wird geklönt und gefeiert. Die Maidemonstration mutiert zum Volks- und Familienfest.
Dabei haben Bürgermeister und Gewerkschafter den Bürgern viel zu sagen. Angetrieben von der großen Sorge, zahlreiche Arbeitsplätze zu verlieren. Bürgermeister Andreas Schulz (SPD): „Jeder verlorene Arbeitsplatz, ist verlorene Qualifikation.“ Michael Wobst, Betriebsratschef von Bombardier-Transportation spricht sogar von einer zweiten Kündigungswelle, die den Bombardier-Mitarbeitern in Hennigsdorf angekündigt wurde. Verpackt als „Personalanpassungsmaßnahme“. Es gäbe Pläne, die Produktion aufzugeben. Wobst: „Ein reiner Engineering-Standort aber ist auf Dauer nicht überlebensfähig.“ Das wäre dann das Aus für den Standort Hennigsdorf mit 2500 Beschäftigten.
Doch noch wird gekämpft. Wichtig wäre deshalb, so Wobst, mehr regionale Verantwortung der Politiker. „Es müssen Aufträge her!“
Von Ulrike Gawande