Auf dem Dorfanger in Germendorf ist in den letzten beiden Jahren jede Menge passiert. Und nun schon wieder. Erst fackelte am 14. Dezember 2014 das alte Feuerwehrdepot ab, dann wurde ein neues Mehrzweckgebäude mit Jugendclub und Depot gebaut. Nun verschwindet auch noch ein Stückchen Dorfgeschichte. Der typische DDR-Flachbau genau gegenüber des Dorfteiches wird nicht mehr gebraucht, soll Platz machen für eine ganz neue Kita.
Noch zu Zeiten, als Horst Eichholz Bürgermeister im Ort war, begann der wechselvolle Werdegang des Hauses, das nach den Erzählungen im Dorf ursprünglich nur ein Hühnerstall war. Eichholz ließ das Gebäude zu einem Kindergarten umbauen. „Das muss Anfang der 1970er-Jahre gewesen sein“, vermutet Olaf Bendin, der in Germendorf aufgewachsen ist und nun das Amt des Ortsvorstehers bekleidet. „In diesen Kindergarten bin ich selbst noch gegangen“, erinnert sich Bendin. Und es war der erste Kindergarten, der ein eigenes Schwimmbecken hatte. „Das lag in einem der hinteren Räume und war eigentlich nur 40 Zentimeter tief.“ Aber immerhin.
Horst Eichholz’ Nachfolger auf dem Bürgermeisterstuhl wurde Klaus-Jürgen Sasse. Aus dem Kindergarten wurde die Grundschule. Und als die nicht mehr nur vier sondern sechs Klassen hatte, wurden im hinteren Teil zwei Räume angebaut. Als in Sasses Ära die neue Schule dahinter gebaut wurde, diente der Flachbau als Hortgebäude. Und dann war es für die Feuerwehrleute ein Segen, dass die Räume leer standen und ihnen vor zwei Jahren als Notquartier dienen konnten. Denn von heute auf morgen brauchte der Germendorfer Löschzug und vor allem der Nachwuchs ein neues Domizil.
Doch nun hat der Flachbau endgültig ausgedient. „Das tut schon ein bisschen weh, dass der nun verschwindet“, sagt Olaf Bendin. So wie ihm wird es einigen Germendorfern gehen. Schließlich prägte dieses Haus den Dorfkern über mehrere Jahrzehnte.
Bald wird davon nichts mehr übrig sein. Seit Mitte November haben die Männer der Perleberger Recycling GmbH mit dem Abriss des Hauses zu tun. Erst wurde der Bauzaun gestellt und der Fußweg mit einer Schotterschicht geschützt. Dann begannen Jens Wredenhagen und sein Kollege mit dem Entkernen. „Das Entkernen ist das anstrengendste“, sagt Wredenhagen. „Da steckt viel Arbeit und Schweiß drin.“ Das Meiste ist reine Handarbeit mit Brechstange und Vorschlaghammer. Alles muss sortenrein getrennt werden: Möbel, Fußbodenbeläge, Fenster, Heizungsanlagen und Dämmwolle. Das Welleternitdach mussten die Männer besonders sorgsam behandeln wegen der Asbestgefahr. Alle Räume sind schon kahl, haben weder Türen noch Fenster, noch sonst was.
An den Wänden erinnern noch bunte Bilder an die Zeiten des Kindergartens. Auch der Schriftzug „Minilöschzug“ ist noch deutlich zu erkennen.
In einer Ecke hat jemand Geschirr aufgestapelt. „Vielleicht kann das jemand für einen Polterabend gebrauchen“, sagt der Baggerfahrer. Große Haufen von Möbeln sind zusammen gekommen, das meiste sieht noch gar nicht so schlecht aus, vor allem die Kücheneinrichtung. Auch die Waschbecken sind noch topp. Aber offenbar kann das alles niemand mehr gebrauchen.
Nun ist es eh zu spät. Der Bagger kommt schon zum Einsatz und frisst sich in die Mauern. „Wir liegen ganz gut in der Zeit“, sagt der 28-Jährige Wredenhagen. Erst seit Februar ist er in dem kleinen Familienbetrieb im Perleberger Ortsteil Groß Werzin angestellt. „Aber die Arbeit macht mir Spaß“, sagt er, „das Team stimmt.“
Bis Dienstag soll das Gebäude verschwunden sein. Bis auf die Bodenplatte wird alles abgetragen. Der Bagger wird nichts mehr übrig lassen von diesem Stückchen Germendorfer Dorfgeschichte.
Von Andrea Kathert