In Zeiten internationaler Handelsabkommen, Europäischer Union und Globalisierung ist heute kaum noch vorstellbar, dass selbst beim Handel über kürzeste Entfernungen beträchtliche Summen zu bezahlen waren. Wollte etwa ein preußischer Viehhändler im 19. Jahrhundert eine Kuh über die Landesgrenze zu Mecklenburg verkaufen, musste er einen Silbergroschen dafür bezahlen. Das königliche Zollwesen war über die Jahre immer weiter ausgefeilt worden, überall entstanden Zollstellen – so auch das Hauptzollamt in Wittstock. Kaffee, Holz, Getreide, Gewürze und Tabak mussten natürlich ebenfalls verzollt werden.
Kein Wunder, dass die immer höher werdenden Abgaben die Händler über kreative Wege nachdenken ließen. Zwar markierte der Daberturm die Grenze zum Nachbarland, doch war es dem Staat zeitweilig unmöglich, die gesamte Grenzlinie zu sichern. Immer wieder konnten mecklenburgische Händler sich mit Getreide für Ruppin hindurchschmuggeln, bis der unverzollte Handel schließlich sogar von der königlichen Zollverwaltung moniert wurde: Der Wittstocker Zollbereiter solle einem ertappten Schmuggler ein Exempel statuieren und ihn abstrafen.
Der Schmuggel durch das riesige Waldgebiet zwischen Wittstock und Wredenhagen in Mecklenburg gehört zwar längst der Vergangenheit an. Auf einer 48 Kilometer langer Route können Radler jedoch auf den Wegen der ehemaligen Schmuggler fahren. Die Schmugglertour gehört wohl zu den erlebnisreichsten Radtouren in der gesamten Prignitz. Auch wenn sie heute als Landesgrenzen überschreitende Tour noch nicht vollständig mit der Knotenpunktregelung versehen ist.
Tourstart ist in Wittstock, von wo aus die Route zunächst nach Alt Daber führt, wo der restaurierte Daberturm wohl die augenfälligste Landmarke der Radtour in Brandenburg ist. Im Turm gibt es viele Informationen rund um den Schmuggel. Wer viel Zeit hat, besucht jedoch auch die anderen Attraktionen rund um den Turm – etwa den Modellpark mit markanten Gebäuden aus der gesamten Region oder den hübsch gestalteten Findlingspark.
Dann geht es direkt hinein ins alte Schmugglergebiet: Dass das große Waldstück früher einmal schlecht zu kontrollieren war, erschließt sich dem Radler sofort – rund sieben Kilometer führt der Weg durch das Waldgebiet mit seinen alten Bäumen. Kurz vor Below trifft er auf die Gedenkstätte des Todesmarsches: 16 000 Häftlinge aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen lagerten hier im April 1945 auf dem Weg nach Norden: Sie sollten zur Ostsee getrieben werden, nachdem das Regime der Nationalsozialisten von den Alliierten-Truppen immer mehr in die Enge getrieben wurde. Bei einem kurzen Spaziergang durch den Wald gibt es viele Informationen über das Lager. Auch die hohen Buchen tragen noch die Spuren der Opfer, die an vielen Stellen Gravuren in der Rinde hinterlassen haben. In einer Freiluftausstellung gibt es auf großformatigen Tafeln weitere Informationen – etwa zu den Hilfeleistungen des Roten Kreuzes für die Häftlinge. Das Gebäude, in dem sich heute das Museum befindet, war 1860 als Försterei der Stadt Wittstock errichtet worden.
Nur ein paar hundert Meter über ein rumpeliges Kopfsteinpflaster ist die Gemeinde Grabow-Below erreicht. Die Kirche des Dorfes wurde zwar erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet, wurde jedoch bereits wenige Jahrzehnte später baufällig, 1896 wurde schließlich der Turm vom Blitz getroffen. Schon im Jahr 1899 wurde der Ersatzbau wieder eingeweiht.
Der Radler hat inzwischen die heutige Landesgrenze zu Mecklenburg überquert. Kurz vor der Autobahn A 19, die knapp hinter Below entlangführt, biegen Radfahrer über eine nur wenig befahrene Straße nun in Richtung Osten ab. Die Route führt durch einen lichten Wald, der unter anderem von einer größeren Anpflanzung von Lärchen gekennzeichnet ist.
Kaum hat der Radler die Hauptstraße erreicht, die nur noch ein kurzes Stück zu fahren ist, ist auch schon Wredenhagen in Sicht. Das Zwischenziel auf der Route ist die Burg Wredenhagen, die über die Jahrhunderte ihrer Geschichte immer wieder zwischen preußischen und mecklenburgischen Eigentümern den Besitz wechselte. Wer möchte, unternimmt jedoch zunächst noch einen kleinen Abstecher an den nahe gelegenen Mönchssee, der wegen seines Vogelreichtums unter Naturschutz steht.
Von Claudia Bihler