Um ein Bürger mit Wahlrecht zu werden, brauchte man in Potsdam im Jahre 1808 Grundbesitz und mehr als 200 Taler Jahreseinkommen. 949 Vollbürger mit Stimmrecht gab es zur Wahl der ersten Stadtverordnetenversammlung – bei insgesamt 14 500 Einwohnern. Mit den ersten Schritten der Stadt in die kommunale Selbstverwaltung nach der preußischen Städtereform vom November 1808 beginnt die sechste Abteilung der neuen Dauerausstellung zur Stadtgeschichte im Potsdam-Museum, die am 22. September eröffnet wird. Die Abteilung „Reformieren und Konservieren. Das bürgerliche Potsdam“ schildert den Aufbau einer vom König unabhängigen Stadtverwaltung, die Entwicklung von bürgerlichem Leben sowie bürgerlicher Kunst und eine zögerliche Industrialisierung.
Potsdam war die erste Stadt Preußens, in der die neue Städteordnung umgesetzt wurde. Die erste Stadtverordnetenversammlung kam am 20. März 1809 in der Lindenstraße 54 zusammen. Ihr Vorsteher Carl Christian Horvath (1752–1837) war Inhaber der ersten Potsdamer Buchkunsthandlung. In der Ausstellung sind neben Gemälden, darunter ein Porträt Horvaths um 1830, unter anderem Zeichen, Embleme und eine Amtskette von 1840 zu sehen. Gezeigt wird auch ein 1819 ausgestellter Bürgerbrief für den Tischler Johann Heinrich Wieck.
Mit den Anfängen bürgerlicher Selbstverwaltung gab es ein neues Selbstbewusstsein auch im privaten Leben. Eine Vielzahl von Zeugnissen dieser Zeit kam 1947 über die einer Goldschmiededynastie entstammenden Geschwister Margarete und Eduard Heylandt ins Haus, die dem Museum ihren umfangreichen Besitz mit Gemälden, Möbeln und Fayencen gegen einen Leibrentenvertrag überließen. Zu den wertvollen Möbeln zählen ein großer Biedermeier-Wandspiegel aus dem Jahr 1820 und zwei Mahagoni-Stühle aus dem Jahr 1830. Porträts von Bürgerlichen stehen für eine veränderte Auftragslage, denn bis dahin überwogen Porträts von Hofmitgliedern. Poesiealben und Freundschaftsbücher dokumentieren die Vernetzung der Bürgergesellschaft.
Ein um 1840 entstandenes Gemälde des „Potsdamer Sankt-Lucas-Vereins bei einem Zeichenabend“ von Gustav Friedrich Eduard Freyhoff (1805–1842) verdeutlicht neben dem Kunstsinn auch das Aufkommen einer bürgerlichen Salon- und Vereinskultur. Für den Aufbau einer eigenen Kunstsammlung stehen Landschaftsveduten von Carl Gustav Wegener (1812– 1887), dessen 300 Werke umfassender Nachlass noch unter Museumsgründer Fritz Rumpf (1856–1927) angekauft wurde. Museumsdirektorin Jutta Götzmann betont, dass es glücklicherweise gelungen sei, ein qualitativ sehr hochwertiges, um 1825 entstandenes Landschaftsgemälde mit Blick auf die Stadt vom Brauhausberg von Wilhelm Barth (1779–1852) als Leihgabe aus Privatbesitz präsentieren zu können.
Nennenswerte Industrieansiedlungen hatten in dem von Residenz, Garnison und Verwaltung geprägten Potsdam kaum eine Chance. Die Situation „war nicht vergleichbar mit anderen Städten“, sagt Jutta Götzmann. Das Ausbesserungswerk für die 1838 zunächst zwischen Potsdam und Berlin eröffnete Eisenbahnlinie kam in die Teltower Vorstadt auf der anderen Havelseite. Viele Betriebe in der Innenstadt arbeiteten für den Hof. In der Ausstellung wird etwa das fast einen Meter hohe Hoflieferantenzeichen der Glaserei Volkwein gezeigt. Für neue Ansiedlungen wie die Zuckersiederei Jacobs oder die Schokoladenfabrik Miethe gab es einen eigenen königlichen Baufonds zur historisierenden Gestaltung der Fassaden. Wenn schon produziert werden musste, dann sollte es wenigstens nicht auf den ersten Blick zu erkennen sein.
Von Volker Oelschläger