„Bei uns wird noch gebacken wie vor 50 Jahren”, sagt Ingo Lehmann. Eine halbe Stunde vor Mitternacht fängt der Wünsdorfer Bäckermeister an, die Teige vorzubereiten. Gegen ein Uhr kommen seine Mitarbeiter in die warme Backstube, um Teig zu ofenfrischem Brot, knackigen Brötchen, knusprigem Gebäck zu verarbeiten. Früh zwischen acht und neun ist die Arbeit in dem vor 110 Jahren gebauten Backhaus getan.
„Hier haben meine Eltern am 14. November 1959 ihr Geschäft eröffnet“, sagt Lehmann. Vorher übten Herbert und Elfriede Lehmann zehn Jahre lang in Drahnsdorf ihren Beruf aus. Weil die von ihnen betriebene Bäckerei nicht zum Verkauf stand, erwarben sie das kriegszerstörte Wünsdorfer Haus mit Laden und Backstube in der Cottbuser Straße von Bäcker Oberländer. Der hatte das Gebäude 1906 als Bäckerei errichten lassen.
Dachstuhl im Krieg zerstört
Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Dachstuhl von den Russen mutwillig kaputt gemacht. „Die haben hier im Frühjahr 1945 gestanden und sind nicht weiter gekommen“, sagt Lehmann. Weil die deutschen Truppen in Zossen eine Brücke gesprengt hatten, geriet der Vormarsch der Roten Armee auf Berlin ins Stocken. Vermutlich um sich einen Überblick auf feindliche und eigene Truppenbewegungen zu verschaffen, funktionierten die Besatzer den abgedeckten Bäckereidachstuhl gewaltsam zum Freiluft-Ausguck um.
Nach dem Krieg versuchten sich drei, vier junge Bäcker erfolglos an diesem Standort in ihrem Handwerk. Schließlich stand die runter gewirtschaftete Ruine zum Verkauf. „Ein kleiner Backofen war da gewesen. Das hat Vater für einen kleinen Neuanfang gereicht.“
Inhaber wollte eigentlich Kfz-Schlosser werden
Eigentlich wollte Ingo Lehmann nicht in die beruflichen Fußstapfen seines Vaters treten, sondern lieber Kfz-Schlosser werden. Schließlich ging er doch bei seinem Vater in die Bäckerlehre. Mit 18 Jahren hatte er seinen Facharbeiter in der Tasche, fünf Jahre später den Meisterbrief in der Hand. 1986 übernahm Lehmann das elterliche Geschäft. „Zu DDR-Zeiten konnten wir gar nicht genug Brot und Brötchen backen.“ Rund 20 Ferienlager gab es damals in und um Wünsdorf. Morgens reihten sich die Abholer in die lange Schlange der Einheimischen und Urlauber ein. Jeder Abholer bekam 200 Schrippen. So kamen auch die Ferienlagerkinder in den Genuss von Lehmanns Brötchen.
Nachfolger steht bereit
Ostbrötchen – bissfest und ohne Luft – gehören bis heute zum Sortiment. Hausbacken sind Brote, Brötchen und Baumkuchen aus dem Backhaus nicht. Gebacken wird, was die Kunden wünschen. „Bis auf einen Wunsch konnte wir bislang jeden erfüllen“, sagt Ingo Lehmann. Eine Kundin wollte Vollkornbrot ohne Hefe, Sauerteig, Mehl, Salz und Zucker. Lehmann lehnte ab. „Das hat doch nichts mit Brot zu tun“, meint der 56-Jährige. Er bäckt weiter traditionell mit Sauerteig und Hefe, gern mit weniger Fett, Ei und Zucker. Nach Grundrezepten, die schon seine Eltern befolgten. Und wohl sein Sohn Nico befolgen wird, wenn es an der Zeit ist, die Bäckerei zu übergeben. Als kleiner Junge schlich Nico Lehmann nachts, wenn er nicht schlafen konnte, runter zu Oma und Opa in die Backstube. „Da habe ich mir Brezeln, Kekse oder ein Frühstücksbrötchen gebacken“, so der 30-Jährige. Auch er wäre eigentlich gerne Kfz-Schlosser geworden. Vielleicht weil er weiß, was für ein hartes Brot der Bäckerberuf ist. Als Chef trägt sein Vater die Verantwortung dafür, dass die drei Läden in Wünsdorf und Klausdorf gut laufen, damit jeweils acht Bäcker und Verkäuferinnen, Kraftfahrer und Hausmeister pünktlich ihren Lohn bekommen. „Das ist eine anstrengende und verantwortungsvolle, aber auch schöne Arbeit“, sagt Ingo Lehmann. „Aber man ist sein eigener Herr und braucht sich von niemand herumschubsen lassen.“
Von Frank Pechhold