Draußen marschierten erklärte Ausländerhasser, verklärte Asylkritiker und verängstigte „besorgte Bürger“ durch die Straßen Jüterbogs. Drinnen im Kulturquartier Mönchenkloster brachten Laienschauspieler das Thema Vorurteil gegenüber anderen Menschengruppen auf die Bühne. Die Ereignisse draußen warfen einen Schatten auf die Premiere drinnen, weil viele Premierengäste sich lieber an der Gegendemonstration beteiligten. Und das Theaterstück drinnen spiegelte das Geschehen draußen wider, weil es genau das thematisierte, was es heißt, sich ein Bildnis von Menschen zu machen, sie also – profan gesprochen – in eine Schublade zu stecken, bloß aufgrund ihrer Herkunft, und sie nicht als Individuum zu erkennen.
So war es auch kein Zufall, dass das Theater der Werktätigen Jüterbog eben das berühmte Stück „Andorra“ von Max Frisch (1911 bis 1991) als diesjährige Theaterproduktion ausgewählt hatte. Doch dieses zeitlose Stück mit zeithistorischem Hintergrund ist ein ziemlich schwerer Stoff, der aber mit großem schauspielerischen Talent und ebenso großer Spielfreude ohne sicht- und hörbare Patzer am Freitag und am Sonnabend aufgeführt wurde. Den Bezug zum Hier und Jetzt schaffte Regisseur Ernst Werner mit kleinen textlichen Änderungen beziehungsweise Ergänzungen des Originaltextes.
Am überzeugendsten wirkte Hauptdarsteller Christoph Kreibich, der ein geborener Charakterdarsteller zu sein scheint. Vielleicht ist er etwas zu groß und zu stattlich für die Rolle des Andri, des angeblich aus dem judenfeindlichen Nachbarland geretteten Judenkindes, das die Bewohner des Kleinstaates Andorra zwar gern bei sich dulden, um sich dem übermächtigen Nachbarn moralisch überlegen zu fühlen. Doch zugleich versuchen sie ihn mit ihren antisemitischen Vorurteilen klein zu halten, ihm vermeintlich judentypische Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften zu unterstellen, bis er diese „Andersartigkeit“ annimmt und auch dann nicht ablegt, als herauskommt, dass er gar kein Jude ist. Trotzdem oder gerade deshalb wird er nach der Eroberung Andorras durch das Nachbarland als Jude identifiziert und muss sterben, was die ach so guten Andorraner ohne jedes Schulbewusstsein hinnehmen, um nicht selbst gerichtet zu werden.
Und vielleicht übertreibt Michael Zschille etwas in seiner Rolle des Lehrers, der aus reinem Selbstschutz als leiblicher Vater und vermeintlicher Pflegevater Andris die Legende des Judenjungen in die Welt gesetzt hat. Umso deutlicher zeigt er dessen Zerrissenheit zwischen Lüge, Schuld und Scham.
Eine herausragende Inszenierung! Noch mal zu sehen am 4. und am 11. Dezember, jeweils um 19.30 Uhr im Kulturquartier Mönchenkloster.
Von Hartmut F. Reck