Der Cellist Steven Isserlis ist derzeit Artist in Residence bei der Kammerakademie Potsdam. Mit seinem Wuschelkopf und den verschmitzten Märchenonkel-Augen avancierte der Brite sogleich zum Publikumsliebling – was natürlich auch an seinen exzellenten musikalischen Fähigkeiten liegt.
Der schwierige Franzose
Auch sein Auftritt am Samstag war vorab ausverkauft. Obwohl sich Isserlis im Potsdamer Nikolaisaal auf den als „schwierig“ geltenden Franzosen Camille Saint-Saëns konzentrierte. Dessen erstes Cellokonzert entstand 1872; nach der verheerenden Niederlage Napoleons III. bei Sedan. Zur selben Zeit starb Saint-Saëns’ geliebte Großtante, die dem Dreijährigen einst den ersten Musikunterricht gab.
Auf der kleinen Stradivari
Isserlis‘ Interpretation spiegelte im Kopfsatz die Trauer des Komponisten wider. Auf dem Podium schien der Cellist nur nach innen zu schauen. Beseelt musizierte er auf seinem Stradivari-Instrument, das im Vergleich zum modernen Cello klein anmutet. Schlank, klar und elegant wirkt seine Tongebung – weit entfernt vom brünstigen Vibrato, das manche seiner Kollegen bei romantischen Klängen an den Tag legen. Das ist sicher auch Isserlis‘ intensiver Beschäftigung mit der historischen Aufführungspraxis geschuldet.
Manacorda rollt Isserlis den Teppich aus
Dirigent Antonello Manacorda und die Kammerakademie Potsdam rollten dem Solisten einfühlsam den Teppich aus. Herrlich geriet zum Beispiel das von den Streichern zart dahin getupfte Menuett.
Rasant und halsbrecherisch
Während sich das erste Cellokonzert von Saint-Saëns im Repertoire durchgesetzt hat, hört man das zweite, erst drei Jahrzehnte später entstandene, nur selten. Vielen Cellisten ist es mit seinen extremen Sprüngen und vertrackten Doppelgriffen schlicht zu schwierig. Steven Isserlis meistert die Herausforderungen vollkommen unangestrengt. Je rasanter und halsbrecherischer sein Part, desto fröhlicher wirkt der Cellist. Es ist die Lust am körperlichen Beherrschen, an hochvirtuoser Rasanz, ein Musizieren tief im Flow, das man hier miterleben kann.
Laut und direkt
Dass Solist und Orchester viel inniger als im ersten Konzert miteinander verzahnt sind, ging dabei ein wenig unter. Zu laut und direkt war die Kammerakademie hier zugange; eher geradlinig deutsch als subtil französisch.
Ungewöhnliche Reihenfolge
Eigentümlich war der Ablauf des Abends. Den Auftakt machte Claude Debussys „Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns“, das stilistisch Saint-Saëns zu sehr ähnelt, um für anregende Kontraste zu sorgen. Entgegengesetzt problematisch: Franz Schuberts Sinfonie Nr. 6 als „Rausschmeißer“, die wiederum überhaupt keinen Bezug zum französischen Repertoire aufweist. Das Ideal eines Sinfoniekonzerts – eine abwechslungsreiche Folge, deren Werke sich gegenseitig beleuchten – wurde an diesem Abend verfehlt.
Am 17. März ist Steven Isserlis im Nikolaisaal ganz aus der Nähe zu erleben: mit kammermusikalischen Perlen von Beethoven, Mendelssohn und Fauré.
Von Antje Rößler