Für Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte wird das Erstarken rechtspopulistischer Ressentiments bei Gewerkschaftsmitgliedern und in Belegschaften zunehmend zum Problem. Das ist das Ergebnis einer von der Linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützten
Die Sozialforscher und Arbeitssoziologen hatten dazu in den letzten Monaten Interviews mit hauptamtlichen Funktionären und Mitgliedern von Betriebs- und Personalräten geführt. „Die Paradoxie besteht darin, dass ein gewerkschaftlich-interessenpolitischer Aktivierungsansatz auch rechtspopulistische oder rechtsextreme Orientierungen anspricht“, schreiben die Autoren um den Münchner Wissenschaftler Dieter Sauer. „Dies sprengt die Logik eines interessenpolitischen Entweder-Oder.“
Schweigen oder verbale Kritik
Gerade im Betriebsratswahljahr 2018 machen viele Belegschaftsvertreter neue Erfahrungen, wenn es in Auseinandersetzungen um die Arbeit der Betriebsräte geht. „Rechtspopulismus geriert sich als Stimme radikaler Kritik, die die Arbeit der Zuspitzung beherrscht, während der Betriebsrat als Teil des betrieblichen ’Establishments’ und damit eher der Kapitalseite zugehörig attackiert wird“, heißt es in der Studie weiter. Auf Betriebsversammlungen würden Gewerkschaftssekretäre zunehmend in die Defensive geraten, wenn sie die Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten zum Thema machten. Die Ablehnung komme häufig als Schweigen oder verbale Kritik daher. „Ein Schweigekartell als verweigerte Zustimmung ist für aktive Betriebspolitik nicht weniger problematisch als offene Kritik“, schreiben die Autoren. „Jeder Gewerkschaftsfunktionär wird es sich zweimal überlegen, ob und wie er oder sie sich gegen Widerstände der Basis aufstellt, ohne sich zu isolieren.“
Betriebsräte sollen sich auf „Kerngeschäft“ konzentrieren
Eindeutige Positionierungen gegen fremdenfeindliche Tendenzen würden von Teilen der Belegschaften abgelehnt, berichteten Gewerkschafter in den Befragungen. „Das wird zum Teil mit der Forderung unterlegt, die Gewerkschaft solle sich auf ihr betriebliches ’Kerngeschäft’ konzentrieren und ihr politisches Engagement demgegenüber ’in Grenzen halten’. Hier steht nicht rechte Kritik an der Gewerkschaft im Zentrum, sondern die wachsenden, nicht gelösten Probleme in der Arbeitswelt, die Anstoß sind, die politische Arbeit – auch in der Auseinandersetzung mit der neuen Rechten – zurückzufahren und die Grenzen des politischen Mandats stärker zu betonen.“
AfD könnte größeres Protestpotenzial erschließen
Die Wissenschaftler halten es für möglich, dass neue rechte Organisationen bei den Wahlen der Interessenvertretungen in Betrieben erfolgreich sind. Der Nährboden, schreiben sie, sei in den Unternehmen vorhanden. „Es ist zu befürchten, dass zumindest Teile der AfD ihr Potenzial in den Betrieben entdecken und ihre Mobilisierungsansätze auch zu Erfolgen führen. Diese Gefahr wird umso größer, je stärker die Neue Rechte generell die soziale Frage und damit auch betriebliche Probleme aufgreift und so ein weit größeres Protestpotenzial erschließen kann.“
Suche nach Schuldigen
Als Nährboden bezeichnen die Forscher „fortwährenden Druck und permanente Unsicherheit von Beschäftigung, Einkommen und Arbeitsbedingungen durch die beständige Restrukturierung der Abläufe im Betrieb – Aufspaltungen, Verlagerungen, Standortkonkurrenz, Kostensenkungsprogramme, zunehmender Leistungsdruck“. Die Einführung von Hartz IV hätten die „Furcht vor dem Abgrund“ erhöht, berichteten Betriebsräte. „Die Unsicherheit des Arbeitsplatzes verbindet sich mit gesellschaftlicher Unsicherheit zu einem explosiven politischen Gemisch und der Suche nach den Schuldigen.“ Andere Teile der Belegschaften, die sich nicht politisch engagieren, würden häufig resignieren. „Die Ratlosigkeit der Betriebsräte und Gewerkschaften, diesem Druck mit wirksamen Maßnahmen entgegen zu treten, verstärkt diese Grundhaltung“, wird in der Studie festgestellt.
Ostdeutsche beklagen Gleichgültigkeit
Die Forscher hatten bei ihrer Befragung große Schwierigkeiten, mit ostdeutschen Vertretern von Gewerkschaften und Betriebsräten zu sprechen. Viele hätten die Fragestellung, inwieweit rechtspopulistische Strömungen in der Arbeitswelt verfestigt seinen, für problematisch empfunden. Die jedoch zu Gesprächen mit den Forschern bereit waren, zeichneten ein überaus düsteres Bild. Die Lage in vielen strukturschwachen ostdeutschen Regionen hätten sich nach den Umbrüchen in Folge der Deutschen Einheit, Massenarbeitslosigkeit und Abwanderung zugespitzt. „Bei den Befragten aus den neuen Bundesländern wird eine besondere Dimension einer subjektiv empfundenen Selbstwertverletzung sichtbar“, konstatieren die Sozialwissenschaftler. „Hinzu kommt, dass sie sich durch die Politik nicht ausreichend unterstützt fühlen und Gleichgültigkeit gegenüber ihren Problemen beklagen. Diese Verletzungserfahrungen und Abstiegssorgen sind ein Nährboden für Pegida und AfD“, heißt es abschließend.
Von Thoralf Cleven / RND