Bauern protestieren gegen Insektenschutz-Auflagen in Berlin

Timo Scheib ist ziemlich sauer. „Was die Politik da macht, ist nichts anderes als die Demontage der heimischen Landwirtschaft“, sagt er aufgebracht. Der Landwirt aus dem Wriezener Ortsteil Biesdorf (Märkisch-Oderland) ist am Dienstagmittag schon seit vielen Stunden auf den Beinen. Im Morgengrauen ist er mit seinem blauen Traktor der Marke New Holland im Konvoi mit 20 anderen Landwirten aus der Region die rund 70 Kilometer von seinem Hof zum Brandenburger Tor in Berlin-Mitte gefahren - um „Flagge für seinen Berufsstand zu zeigen“, wie der 47-Jährige sagt. Solidarität mit den Kollegen: „Das von der Bundesregierung geplante Insektenschutz-Programm trifft alle Bauern in Deutschland und ich bin hier, um mich mit den Kollegen solidarisch zu zeigen“, sagt Timo Scheib mit energischer Stimme. Der Brandenburger Landwirt ist einer von rund 150 Bauern, die am Dienstag aus dem ganzen Bundesgebiet mit ihren Traktoren auf die Straße des 17. Juni gerollt sind. Initiativen wie die „Freien Bauern“ und „Land schafft Verbindung“ haben zum Protest gerufen – wie schon sooft in den vergangenen Monaten gegen das von Schwarz-Rot geplante Insektenschutzgesetz zur Eindämmung des Chemikalieneinsatzes auf den Äckern. Am Freitag wird das Gesetzesvorhaben in den Bundesrat eingebracht. Sollte es dort Bestand haben – was aufgrund des Widerstands aus agrarstarken Bundesländern keineswegs als sicher gilt – ist es um die Existenz bäuerlicher Betriebe in Zukunft schlecht bestellt, so fürchten die Landwirte. Angst vor faktischer Enteignung: „Dieses Gesetz hilft weder den Insekten noch den Bauern“, ist Timo Scheib überzeugt. Vielmehr laufe es auf eine faktische Enteignung bäuerlicher Betriebe hinaus. „Wenn die Politik meint, dass durch meine Landwirtschaft ein Naturschutzgebiet betroffen ist, kann es sein, dass man mir die Bewirtschaftung komplett verbietet“, schimpft er. Er selbst habe kein Naturschutzgebiet in unmittelbarer Nähe zu seinen Feldern. Ihm geht es ums Prinzip. Tatsächlich sieht das Gesetzespaket vor, in bestimmten Schutzgebieten Schädlings- und Unkrautbekämpfungsmittel sowie Insektenvernichtungsmittel gänzlich zu verbieten. Wenn die Landwirte dann etwa Ackerrandstreifen von Insektenschutzmitteln freihalten müssen, so die Angst der Bauern, bekämen sie dafür keinen finanziellen Ausgleich. Bauern keine Feinde in Sachen Umweltschutz: Statt den Bauern mit immer neuen Reglementierungen Knüppel zwischen die Beine zu werfen, sollte man gemeinsam darüber sprechen, wie Umweltschutz und Landwirtschaft in Einklang gebracht werden können, findet Landwirt Timo Scheib. „Ich lade alle interessierten Politiker ein, auf meinen Hof zu kommen und sich vor Ort ein Bild zu machen.“ Man solle endlich aufhören, die Bauern als Feinde zu betrachten. Die Redner, die am Dienstag auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor stehen, sprechen Landwirten wie Scheib aus der Seele. „Wir haben den festen Glauben daran, das sogenannte Insektenschutzgesetz noch aufhalten zu können“, sagt Reinhard Jung von den „Freien Bauern “, einem Verband von kleinen und mittelständischen Landwirtschaftsbetrieben. „Wir sind stolz darauf, Bauern zu sein, die mit ihrer Arbeit das Land ernähren.“ Ackerflächen werden „plump und primitiv“ stillgelegt: In ganz Brandenburg werden laut Landwirtschaftsministerium rund 1,3 Millionen Hektar Fläche landwirtschaftlich genutzt – rund die Hälfte der Bodenfläche. Davon wären fast 480.000 Hektar von dem neuen Gesetz betroffen, sagt Reinhard Jung. Mit der Folge, dass dieses Gebiet durch die geplanten Einschränkungen „plump und primitiv stillgelegt“ wird, kritisiert er. Die regionale Produktion würde dadurch massiv zurückgedrängt. „Die Politik würde sich damit von der eigenen, heimischen Landwirtschaft verabschieden und sich noch stärker als jetzt schon dem Import zuwenden“, so Reinhard Jung. So weit dürfe man es nicht kommen lassen. Das findet auch Timo Scheib aus Wriezen. Nach der Kundgebung will er zur Karl-Marx-Allee fahren. Dort haben die Bauern ihr Berliner Basislager eingerichtet. Noch bis Freitag wollen sie mit Aktionen auf ihre Positionen aufmerksam machen. Geplant sind unter anderem ein Hupkonzert vor dem Bundesumweltministerium. „Wir werden nicht einfach aufgeben“, so Scheibs Botschaft. Von Jérôme Lombard