Bundeswehr-Soldaten zu Weihnachten im Einsatzland Estland

Langsam bewegt sich der Eurofighter vor, er wird immer schneller. Ein lautes Pfeifen und Zischen ist die begleitende Geräuschkulisse dazu. Dann hebt das Kampfflugzeug in die Luft ab und fliegt mit dem Piloten zu seinem Einsatz. Routine für die im estnischen Ämari stationierten Soldaten der Bundeswehr. Statt besinnlicher Silberschellen schallt dort eher der schneidende Düsenlärm der Kampfflugzeuge durch die Luft. Auch über die Weihnachtsfeiertage wird das so sein. Viele Menschen erleben wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr zum ersten Mal ein Weihnachtsfest getrennt von der Familie. Für die Soldaten im Auslandseinsatz ist dieses Gefühl nichts Neues. „Mittlerweile ist es kein Schock mehr für sie“, sagt Hauptfeldwebel Christian B. Bevor er in einen Einsatz geht, spricht er ganz offen mit seiner Familie über die möglichen Gefahren. Es ist nicht sein erster Einsatz und es wird nicht sein letzter sein, sagt der 35-jährige Brandenburger. In Estland hat er bald die 100 Einsatztage voll. Bis Ende Januar wird er dort noch stationiert sein. Dann findet ein Kontingentwechsel statt. Ohne Geschenke an Heiligabend, dafür Weihnachten im Januar: Christian B. hat seine Familie gebeten, ihm zu Weihnachten keine Geschenke zu schicken. „Ich möchte das Gefühl der Weihnachtsstimmung einen Monat später nachholen. Wenn ich wieder zurück bin, möchte ich den Zusammenhalt der Familie spüren und wissen, dass ich wieder bei geliebten Menschen zu Hause bin“, sagt er. „Zum Glück leben wir in einem digitalem Zeitalter.“ Das hilft, die Distanz wenigstens etwas zu überbrücken: Per Videokonferenz kann er seine Familie auch im Auslandseinsatz sehen. Seine Kameraden in Deutschland würden es sich aber nicht nehmen lassen, ihm Geschenke nach Ämari zu schicken, erzählt er. Wer an die im Einsatzführungskommando in Geltow (Potsdam-Mittelmark) geplanten Auslandseinsätze der Bundeswehr denkt, dem kommen vermutlich zunächst Länder wie Afghanistan oder Mali in den Sinn. Und nicht unbedingt Estland, wo Christian B. arbeitet. „Verstärkung Air Policing Baltikum“ (VAPB) heißt sein Auftrag im Fachjargon. Dabei handelt es sich um eine NATO-Mission zur Luftraumüberwachung und zum Schutz der baltischen Staaten. Dabei wechseln sich die Mitgliedsstaaten der NATO stetig ab. Bis Mai nächsten Jahres liegt die Sicherheit des baltischen Luftraums im Aufgabenbereich der Bundeswehr. Politisch handelt es sich bei dem Verstärkungseinsatz um eine „einsatzgleiche Verwendung“, weshalb dafür kein Mandat des Bundestages von Nöten ist. „Es ist schon etwas Besonderes, in dieser Zeit im Einsatz zu sein“, sagt der Hauptfeldwebel. Schließlich prägt das Corona-Virus auch die Lage in Estland. Alle Abläufe müssen unter Einhaltung der geltenden Regeln stattfinden. Auf der Ämari Air Base kümmert sich Christian B. in der Instandsetzung um jegliches „nicht fliegende Gerät“. Also um alle militärischen und zivilen Fahrzeuge am Boden, welche die Soldaten in dem Einsatz bewegen. Dennoch sei es auch für den erfahrenen Hauptfeldwebel ungewohnt, Weihnachten nicht zu Hause sein zu können. „Es ist anders, nicht im gewohnten Umfeld Heiligabend zu feiern, in eine Kirche zu gehen und gemeinsam mit seiner Familie zu essen“, sagt der Berufssoldat. Bis zu sechs Eurofighter sind derzeit in Ämari stationiert. Zusammen mit den rund 180 Soldatinnen und Soldaten stellen sie die sogenannte Alarmrotte auf der Luftwaffenbasis. Sollten sich fremde, nicht identifizierbare Flugzeuge dem baltischen Luftraum nähern, starten zwei Eurofighter der Luftwaffe um die unsichtige Situation aufzuklären. Nach der Alarmierung haben die Piloten der Eurofighter 15 Minuten Zeit, um mit ihren Flugzeugen in der Luft zu sein. Seit 2014 beteiligt sich die Bundeswehr an der NATO-Mission. Ein Weihnachtswunsch für die Gesellschaft: Doch auch auf der Ämari Air Base ist es weihnachtlich. Geschmückte Tannenbäume stehen auf dem Stützpunkt. Zu Heiligabend wird ein traditionell estnisches Weihnachtsgericht in der Truppenküche serviert: Blutwurst und Sauerkraut. Alternativ werde es aber auch Schweinebraten geben. Für Oberleutnant Maximilian K. ist der Einsatz in Ämari der erste. Offen sagt er, dass er Heimweh hat. „Weihnachten ist für mich ein Fest, an dem man zu Hause ist“, sagt er. Vor allem vermisse er seine Freundin. Für sie hat er in Deutschland schon vor dem Einsatz ein Weihnachtsgeschenk vorbereitet. „Am 24. wird sie es öffnen und sich hoffentlich darüber freuen“, sagt er. Auch ihm sei es wichtig, im Vorfeld eines Einsatzes mit seiner Freundin und der Familie offen und ehrlich darüber zu sprechen. In Ämari ist er Zugführer des Nachschub- und Transportzuges. Das bedeutet, dass er alle Prozesse der Logistik gestaltet und optimiert. Für ihn habe es allerdings auch etwas, das Weihnachtsfest mit den Kameraden zu verbringen. Vermutlich werden sie Schrottwichteln, sich gegenseitig wertlose Spaßgeschenke machen, verrät er. Aus seiner Einheit in Berlin sei ein Care-Paket auf dem Weg zu ihm. Auch für den Hauptgefreiten David L. aus Doberlug-Kirchhain ist es das erste Weihnachten ohne die Familie. Und es ist auch die erste Einsatzerfahrung für den erst 21-Jährigen. Vor allem seine Mutter habe sich im Vorfeld große Sorgen gemacht. „Wie Mütter halt so sind“, sagt er. Einmal pro Woche hat er Kontakt mit ihr und dem Rest seiner Familie. Sie und seine Freunde fehlen ihm. Aber, sagt er, er habe ja gewusst, worauf er sich einlässt. „Mein erster Einsatz ist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe“, sagt er. Für Weihnachten hat Hauptfeldwebel Christian B. einen Wunsch: „Ich wünsche mir für die Gesellschaft, dass wir uns etwas mehr besinnen. Dass wir verstehen, dass es uns gut geht und wir nicht immer so negativ denken. Es sind die kleinen Dinge im Leben – und man sollte jeden Tag nutzen, um das Glück zu greifen“, sagt er. Von Steve Reutter