Fahrrad-Boom: Wie BBF Bike aus Hoppegarten die Corona-Krise erlebt hat

Das Teilelager ist das Herzstück der Firmenzentrale von BBF Bike. Bis unter die Decke stapeln sich die Kartons. Rund 16.000 verschiedene Fahrradteile von der Luftpumpe bis zur Nabenschaltung lagern hier. Dazwischen schieben Mitarbeiter Einkaufswagen durch die Gänge, um die letzten Bestellungen abzuarbeiten. Pro Schicht legen sie im Schnitt 20 Kilometer zurück. Jeden Tag verlassen bis zu 700 Pakete das Lager. BBF Bike mit Sitz in Hoppegarten (Märkisch-Oderland) ist einer der größten Großhändler für Fahrräder und Fahrradteile in Deutschland und beliefert fast 4000 Geschäfte bundesweit. Mit seinen sechs firmeneigenen Marken wie Panther, Checker Pig oder BBF hat das Unternehmen über 500 verschiedene Modelle im Angebot. Pro Jahr verkauft der Großhändler etwa 80.000 Fahrräder. An den sieben Firmenstandorten, darunter Hamburg, Rostock und München, arbeiten knapp 200 Mitarbeiter, 90 allein in der Firmenzentrale in Hoppegarten. Deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte: Das Unternehmen ist eine deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte, eine „Ost-West-Symbiose“, wie Geschäftsführer Hagen Stamm sagt. 1985 hatte der damals 25-Jährige den Kreuzberger Fahrradgroßhandel Mietzner von seinen Schwiegereltern übernommen. Nach der Wiedervereinigung fusionierte das West-Berliner Familienunternehmen 1992 mit der Fahrradsparte des VEB IFA Ost mit Sitz in Hoppegarten und Frankfurt (Oder). Der IFA-Vertrieb, damals bereits in den Händen westdeutscher Unternehmen, kaufte Stamms Großhandel auf und damit auch sein Know-How über den West-Berliner Markt. Stamm wurde Minderheitsgesellschafter und Geschäftsführer der neu gebildeten Gesellschaft BBF, der Berlin-Brandenburger Fahrradwerke. „Theoretisch hat der Ost-Betrieb damals den West-Betrieb gekauft“, sagt Hagen Stamm. Das Fahrrad ist ein krisensicheres Fortbewegungsmittel: Bevor er in die Firma der Schwiegereltern einstieg, hatte er praktisch keine Ahnung von Fahrrädern. Stamm ist Wasserballer und spielte damals bei den Wasserfreunden Spandau 04. Nach einem Lehramtsstudium hatte er sich zunächst mit einem Geschäft für Schwimmbekleidung selbstständig gemacht. Heute ist der 60-Jährige eine Wasserball-Legende: 14 Mal in Folge Deutscher Meister, zwölfmal Deutscher Pokalsieger, drei Mal Torschützenkönig der Deutschen Wasserball-Bundesliga. Er hat an insgesamt fünf Olympischen Spielen teilgenommen, drei Mal als Spieler und zwei Mal als Bundestrainer. 1984 gewann er in Los Angeles die Olympische Bronzemedaille. Lesen Sie auch: Corona-Krise sorgt für Boom bei Fahrradhändlern Dass er dennoch in die Fahrradbranche eingestiegen ist, liege auch an seiner Schwiegermutter, sagt Stamm. Sie habe ihn eines Tages in dieses Geheimnis der Fahrradbranche eingeweiht: „Geht es den Leuten schlecht, fahren Sie Rad, weil sie sich kein Auto leisten können. Geht es den Leuten gut, fahren sie Rad, weil sie zu dick geworden sind.“ Das gelte im Prinzip bis heute, sagt Stamm: „Das Fahrrad ist ein krisensicheres Fortbewegungsmittel“ „Auf einmal herrschte Goldgräberstimmung“: Mit dem Lockdown Anfang März geriet jedoch auch der Fahrradhandel in eine bedrohliche Schieflage. Während in Berlin Fahrradläden als systemrelevant galten und weiterhin geöffnet bleiben durften, mussten sie im Nachbarbundesland schließen. Von einem Tag auf den anderen sank die Nachfrage von Händlern aus Brandenburg auf null. Die Pandemie unterbrach zudem die Lieferketten aus Asien: Chinesische Fabriken mussten die Produktion vorübergehend einstellen, Containerschiffe steckten in Häfen fest. BBF Bike musste viele seiner Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. „Ich wusste nicht, ob wir es über die Saison schaffen“, sagt Geschäftsführer Stamm heute. Dennoch ist die Fahrradbranche ist einer der wenigen Wirtschaftszweige, die während der Corona-Krise einen Boom erlebt haben. Ende April, mit den ersten Lockerungen, seien die Absätze der Fahrradhändler plötzlich explodiert, erinnert sich Stamm. „Auf einmal herrschte Goldgräberstimmung in der Branche.“ In der Pandemie stiegen viele Menschen auf das Fahrrad um, um nicht in Bussen und Bahnen zur Arbeit fahren zu müssen oder um mit dem Rad statt mit dem Flugzeug verreisen zu können. Zudem war Frühjahr, die traditionelle Zeit der Fahrradkäufe. Große Nachfrage nach E-Bikes und Lastenrädern: „Für viele war der Lockdown das Signal, sich jetzt ein neues Rad zuzulegen“, meint Stamm. Das Problem: Die Kunden kamen alle zur gleichen Zeit. Viele Händler sind heute nahezu ausverkauft. Die Produktion komme kaum hinterher, heißt es. Manche Modelle sind es erst frühestens im nächsten Jahr wieder erhältlich. Auch bei BBF Bike ist der Boom zu spüren. In den Monaten Mai und Juni habe man den Umsatz nahezu verdoppeln können, sagt Hagen Stamm. „Es ging von null auf 100.“ Zeitweise mussten Mitarbeiter von Zeitarbeitsfirmen aushelfen, um die Flut an Bestellungen abarbeiten zu können. Besonders nachgefragt in diesem Jahr: E-Bikes mit elektrischer Tretunterstützung, sogenannte Pedelecs. Auch Lastenräder sind derzeit begehrt, insbesondere in Großstädten. Corona habe gezeigt, sagt Hagen Stamm, dass das Fahrrad kein Auslaufmodell, sondern ein Fortbewegungsmittel der Zukunft sei. Er fordert mehr Engagement der Politik für den Radverkehr: „Das Rad ist systemrelevant, es sollte auch so behandelt werden.“ Von Feliks Todtmann