Hass und Hetze im Internet: Brandenburger Politikerinnen berichten von ihren Erfahrungen

„Drecksau“, „Du fette Sau“, „Dich sollte man in eine Zelle mit Straftätern stecken“. Diese Beleidigungen und Drohungen treffen ins Mark. Sie machen Angst. Sie wurden verschickt an Politikerinnen aus verschiedenen Fraktionen im Brandenburger Landtag. Darunter Abgeordnete der Linken, der CDU und der Freien Wähler. Auch eine Kommunalpolitikerin der Grünen ist betroffen. Die Chatverläufe und E-Mails, in denen diese Sätze zu lesen sind, liegen der MAZ vor. Hass im Netz trifft vor allem Frauen, das zeigen aktuelle Studien wie die der Hilfsorganisation Plan International, nach der jede siebte junge Frau in Deutschland Opfer digitaler Gewalt wird. Die Täter, auch das zeigen Studien, sind meist männlich. Oft mischt sich Frauenhass mit rechten Ideologien, dahinter stehen häufig Netzwerkstrukturen wie die der Incels. Eine gewaltbereite, frauenfeindliche Bewegung, die vor allem online agiert und zu deren Umfeld auch der Attentäter von Halle gezählt wird. Das Ziel dieser Angreifer ist klar: Frauen sollen herabgesetzt werden. Sie sollen aus dem öffentlichen Diskurs verschwinden. Die MAZ hat mit sieben Politikerinnen darüber gesprochen, wie sie mit dem Hass umgehen, über die Ängste, die er bewirkt, die Verantwortung der Justiz und die Frage, wo Hetze eigentlich anfängt. Alle wollen in diesem Artikel namentlich auftauchen. Alle berichten, dass die Angriffe vor allem über Social-Media-Plattformen stattfinden, vor allem über Facebook. Für die meisten der Frauen ist es das erste Mal, das sie öffentlich über ihre Erfahrungen sprechen. Auch die AfD wurde für diese Recherche angefragt; sie reagierte nicht. Reicht es, wenn jemand einem wünscht, vergewaltigt zu werden? Sie habe gezögert, sich zu dem Thema zu äußern, sagt Isabelle Vandre. Seit 2014 ist sie Abgeordnete der Linken im Landtag. Vandre stellt sich offen gegen Rechtsextremismus. Drohungen und Beleidigungen gehören zu ihrem politischen Alltag. Trotzdem habe sie gezweifelt, sagt Vandre: Reicht die Bedrohungslage aus, um darüber zu sprechen? Reicht es aus, wenn jemand einem wünscht, vergewaltigt zu werden? Vandres Antwort fiel eindeutig aus: „Ich will darüber reden, weil ich anderen Betroffenen zeigen will: ihr seid nicht alleine!“ Am schlimmsten sei es 2015 gewesen, sagt Vandre. Damals forderte die AfD öffentlich ihren Rücktritt, es ging um ein polarisierendes Transparent der Linksjugend. Tagelang wurde ihre Facebook-Seite mit hasserfüllten Kommentaren geflutet. Ein User schrieb ihr: „Du miese verdammte nach Scheiße riechende elende Autobahnraststättenhaushilfshure – dir sollte mohammeds schwanz im halse stecken bleiben auf das du darean erstickst (sic!)“ „Ich war schockiert“, sagt Vandre. „Das ist nicht der tonangebende Diskurs, den ich für dieses Land möchte.“ Der konstante Hass, die Dauerschleife aus unerwünschten Kommentaren, „das macht was mit einem“, sagt Isabel Vandre. „Die Frage ist: Kann man das aushalten?“ Auch Ricarda Budke, seit rund einem Jahr im Landtag für die Grünen, berichtet von regelmäßigen Beleidigungen. Budke kommt aus der Klimabewegung, sie wirbt für den Kohleausstieg. Kurz: Sie hat viele Gegner im Land. „Miss Piggy ist da noch harmlos“, sagt die 21-Jährige. Der Umgang mit diesen Beleidigungen sei schwierig für sie, sagt Budke. „Mich macht es wütend, dass man als junge Frau keine Politik machen kann, ohne solchen Hassbotschaften ausgesetzt zu sein.“ Wo fangen Hass und Hetze an? Stalking, sexuelle Belästigung auf der Straße, Beleidigungen, all diese Phänomene laufen unter dem Begriff der geschlechtsspezifischen Gewalt. Nicht alle diese Formen des Hasses sind strafbar. Welche Konsequenzen das für Betroffene hat, zeigt der Fall der Grünen-Politikerin Renate Künast. Diese hatte vor dem Landgericht Berlin gegen sexistische Online-Kommentare geklagt. Erst in zweiter Instanz bekam sie recht. Die Äußerungen wurden als Beleidigungen gewertet und nicht als reine Meinungsäußerungen. Wo fangen Hetze und Hass an? Für viele Betroffene sei das schwierig nachzuvollziehen, sagt Andreas Behm. Er ist Generalstaatsanwalt in Brandenburg, das Thema Online-Hass beschäftigt ihn schon lange. Der Ton werde immer rauer, sagt er. Die Angriffe immer heftiger. „Wenn der Hass kommt, dann geballt.“ Er bestätigt: Opfer dieser Hass-Wellen seien vermehrt Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen. Der Fall Renate Künast habe sie schockiert, sagt Kathrin Dannenberg. „Da dachte ich: Was muss man sich als Politikerin gefallen lassen?“ Dannenberg sitzt seit 2014 für die Linken im Landtag, den Fraktionsvorsitz ihrer Partei hat sie vor Kurzem abgegeben. Der Ton sei in den letzten Jahren härter geworden, sagt Dannenberg. Sie weiß, wovon sie spricht. In einem Interview, im August 2019, sprach sich Dannenberg gegen Asylrechtsverschärfungen aus. Das reichte. Die Nachrichten auf ihrem Facebook-Account trafen im Minutentakt ein. „Da bekommt man schon Angst.“ Ein Facebook-User schreib ihr: „Dir sollte man eine Horde Ausländer nach Hause schicken, die dich durchnehmen.“ Dannenberg alarmierte das Social-Media-Team ihrer Partei. Die rieten ihre angesichts der Masse, den Sturm auslaufen zu lassen. Die Taktik funktionierte. Anzeige habe sie nicht erstattet, sagt Dannenberg. Heute ärgere sie sich darüber. Nicht immer haben Anzeigen auch Konsequenzen: Auch ihre Parteikollegin Isabelle Vandre hat bisher nie Anzeige erstattet. Ricarda Budke von den Grünen ebenfalls nicht. Fragt man warum, dann gleichen sich die Gründe: Keine Kraft, keine Zeit und die Frage, was und ob eine Anzeige überhaupt etwas bringt. Dass Anzeigen nicht immer Konsequenzen haben, weiß Andrea Johlige, ebenfalls für die Linken im Landtag. Im September vergangenen Jahres hielt sie im Parlament eine Rede über die Rolle der Antifa, „Das Internet explodiert“, sagt die 43-Jährige. Tausendfach sammelten sich die Kommentare, vor allem von rechts. Johlige hat eine 15-seitige Dokumentation erstellt, eine Sammlung aus Hass und Beleidigungen. Ihr sei damals bewusst geworden, wie der Hass gegen Frauen sich von dem gegen männliche Politiker unterscheidet, sagt Johlige. „Denen schreibt niemand, dass sie fett und hässlich sind.“ Gegen 55 Personen stellte sie Strafanzeige. Die meisten der Verfahren wurden eingestellt. „Frauen“, sagt Johlige, „werden nicht ausreichend vor Hass im Netz geschützt.“ Ähnlich sieht das auch Generalstaatsanwalt Andreas Behm. Um den Hass im Netz künftig besser ahnden zu können, hofft Behm auf das Gesetz gegen Hasskriminalität, das zum 3. April in Kraft getreten ist. Es soll es künftig ermöglichen, die Absender hinter den Hassnachrichten schneller ausfindig zu machen. Bundestag und Bundesrat hatten dem Gesetz eigentlich bereits im Sommer zugestimmt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnete es jedoch erst in dieser Woche, weil zunächst eine Neuregelung zum Zugriff auf Handynutzerdaten verabschiedet werden sollte. Behm rechnet für Brandenburg mit bis zu 6.000 Verfahren jährlich – also weitaus mehr als bisher. Zum Vergleich: 2019 gingen die Behörden in 648 Beleidigungen nach, die im Internet verbreitet wurden. In 54 Fällen wurden Social-Media-Einträge als „Hass-Postings“ eingeordnet. Wie viele Frauen unter den Betroffenen sind, dazu gibt es keine Daten. Ein Umstand, der zeigt: Brandenburg muss im Kampf gegen Online-Hass aufholen. Im Januar entschied das Landesparlament über die Ernennung eines Beauftragten gegen Hasskriminalität. Noch sei nicht klar, wann genau dieser eingesetzt werde, sagt Generalstaatsanwalt Andreas Behm. Er rechne mit Mai 2021. Dass nicht nur linke Politikerinnen Opfer von Online-Hass werden, zeigt das Beispiel von Christine Wernicke. Sie sitzt für die Freien Wähler im Landtag und setzt sich gegen Windparks im Wald ein. Bei Anhängern für erneuerbare Energien ist Wernicke deshalb nicht gern gesehen. Immer wieder werde ihr die Kompetenz abgesprochen, erzählt Wernicke, vor allem von Männern. Sexistische Kommentare bekomme sie dagegen eher selten. Kürzlich postete einer von Wernickes Gegnern ein bearbeitetes Bild von ihr auf Facebook. Ihr Gesicht ähnelt einer Figur aus einer Art Mittelalter-Serie. „Das war ehrverletzend, sagt die 61-Jährige. Auch Kristy Augustin, Frauenbeauftragte der CDU Brandenburg, sagt, sie beobachte seit Jahren vermehrte Angriffe auf junge Frauen, vor allem in der Kommunalpolitik. „Ich befürchte, dass Frauen so davon abgehalten werden, ihre Stimme zu erheben.“ Eine Befürchtung, die eine Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena bestätigt. In einer Umfrage gaben rund 33 Prozent der Befragten an, sich im Netz weniger politisch zu äußern. Betroffen waren vor allem Frauen. Die Wissenschaftler nennen diesen Effekt „Silencing“, also Verstummen. Eine, die sich nicht mundtot machen lässt ist, ist Barbara Domke. Sie sitzt für die Grünen im Stadtparlament Cottbus und engagiert sich gegen Rechtsextremismus. Ihre Erfahrungen zeigen, was passiert, wenn sich der Hass aus dem Netz in die Offline-Welt überträgt. „Die Situation hat sich in den letzten Jahren massiv verschärft“, sagt Domke und erzählt von Lügen, die ihre Gegner im Netz über sie verbreiten. Teilweise seit Jahren. In einer klaut Domke, die als Familienhelferin arbeitet, Kinder aus AfD-Familien. Mittlerweile gehe es so weit, dass Fremde sie auf der Straße anschreien und als vermeintliche „Kinderklauerin“ beleidigen. Domke fühlt sich bedroht. „Die Gefahr besteht, dass mal jemand zu schlägt oder schlimmeres.“ Mehr Hilfe für Betroffene und eine klarere Rechtslage: Zu den Lügen kommen Beleidigungen und Drohungen: „Die Fette, die Dumme“. Das sei verletzend, sagt Domke. Den Höhepunkt erreichte die jahrelange Hetzkampagne gegen die Kommunalpolitikerin im August letzten Jahres, als jemand ihr Auto zerstörte. „Da bekommt man schon Angst.“ Die schlimmsten Nachrichten hat Domke an die Staatsanwaltschaft übergeben, bisher ohne Ergebnis. Wenig juristischer Schutz, wenig Hilfe von Betreibern sozialer Netzwerke und wenig Verständnis, vor allem von Männern. Das ist das Fazit aller Politikerinnen, mit denen die MAZ gesprochen hat. Alle Frauen forderten in den Gesprächen eine klarere Rechtslage, mehr Aufklärung und Unterstützung von Betroffenen. Isabelle Vandre von den Linken sagt: „Hinter diesen Angriffen steckt ein tief sitzender Antifeminismus.“ Es sei eine gesellschaftliche Aufgabe dagegen anzugehen und die Antwort auf die Frage zu finden: Wie gehen wir damit um? Von Gesa Steeger