Manfred Stolpe ist tot: Einer für das Wir-Gefühl in Brandenburg

Wohl jeder, der längere Zeit in der Brandenburger Politik unterwegs war, hat mindestens einen ganz besonderen Stolpe-Moment. Meiner war dieser: Potsdam, irgendwann in den „Nuller Jahren“. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hatte zu einer Veranstaltung ins Mercure-Hotel geladen, es ging um den Nahost-Konflikt. Stolpe kam als Gast, zufällig betraten wir gemeinsam das Gebäude, unterhielten uns über dies und das, als ein Besucher auf uns zukam und einen Brief aus der Jackentasche holte. „Manfred, den hier wollte ich Dir schicken, jetzt kann ich ihn Dir auch persönlich geben.“ Und was machte Stolpe als erstes? Nahm den Brief aus dem Kuvert, riss die Marke vorsichtig ab und gab sie dem verblüfften Mann zurück: „Die ist noch gut, kannst Du nochmal verwenden.“ Bodenständig, nahbar und pragmatisch: So banal die Episode auch wirken mag, so typisch erscheint sie im Nachhinein. Bodenständig, nah bei den Menschen, pragmatisch durch und durch - das war Manfred Stolpe. Er wollte immer möglichst viele Menschen mitnehmen, moderierte oft und gerne und ging, wenn es nötig war, auch verschlungene Wege. Für die Menschen in Brandenburg - und darüber hinaus für viele Ostdeutsche - wurde Stolpe zu einer Identifikationsfigur in schwierigen Zeiten. Vielleicht auch, weil er anders daherkam als der klassische bundesrepublikanische Machtpolitiker. Vor allem aber, weil er verständnisvoll agierte - und niemals den Blick vor den sozialen Härten verschloss, mit denen der Umbruch in den neuen Bundesländern verbunden war. Zusammen mit Regine Hildebrandt stand er für jenen „Brandenburger Weg“, der vor allem in Westdeutschland häufig als rückwärtsgewandt und DDR-nostalgisch kritisiert wurde. Seine Landsleute aber schätzten daran, dass da einer war, der ihre Nöte verstand und ernst nahm. Einer für das Wir-Gefühl im Osten. Eher zufällig in der SPD gelandet: Auch deshalb konnte Stolpe in den Zeiten der erbitterten Auseinandersetzungen um seine Stasi-Kontakte in der DDR auf „seine“ Märker zählen. Drei Amtszeiten als Ministerpräsident, eine davon mit absoluter Mehrheit – das sind Ergebnisse, die andere auch gerne gehabt hätten. Dabei war Stolpe schon aufgrund seiner Biografie kein Parteimensch, sondern eher zufällig in der SPD gelandet. Doch dieser Zufall war das Beste, was den Sozialdemokraten damals passieren konnte. Wäre so einer nicht auch ein Rettungsanker für die SPD von heute? Nicht unbedingt. Manfred Stolpe hat die politische Bühne zu einem historisch einmaligen Zeitpunkt betreten. Er hat das Ruder in die Hand genommen, als Entscheidungen getroffen werden mussten, die heute nicht vergleichbar sind. Es ist keinesfalls ausgemacht, dass Stolpes moderierender Politikstil auch heute noch erfolgreich wäre. Aber viele seiner Eigenschaften - preußische Disziplin, Verlässlichkeit, Nähe zu den Menschen - wären auf jeden Fall hilfreich. Und zwar zu allen Zeiten. Lesen Sie dazu auch: Nachruf auf Manfred Stolpe: Er war ein Menschenfänger Reaktionen: Das sagen Politiker zum Tod Stolpes Manfred Stolpe: Sein Leben in Bildern Von Henry Lohmar

Leitartikel zu Manfred Stolpe - Einer für das Wir-Gefühl im Osten