Noel Martins Tod löst tiefe Betroffenheit aus

Am 23. Juli 2007, an seinem 48. Geburtstag, wollte Noël Martin in die Schweiz reisen und seinem Leben ein Ende bereiten. Der frühere Bauarbeiter, der vom Hals abwärts gelähmt und 24 Stunden am Tag auf Pflegekräfte angewiesen war, sah keinen Sinn mehr in seinem Leben. „Man kann einfach gar nichts machen. Du siehst das Leben an dir vorbeiziehen“, sagte er später. Seinen Selbstmordplan hat er nie in die Tat umgesetzt. Freunde hatten ihn davon abgehalten. Nun ist Noël Martin in einem Krankenhaus in seinem Wohnort Birmingham gestorben. Er wurde 60 Jahre alt. Martin wurde zur unfreiwilligen Symbolfigur dessen, was blindwütiger Hass, Dumpfheit, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit anrichten können. 1996 war der Bauarbeiter zum Einsatz in Mahlow, als nach der Wende ein Bauboom einsetzte. Er verputzte dort Häuser. Sie riefen „Nigger“ und warfen den Stein: Am Abend des 16. Juni wurde Martin von Neonazis als „Nigger“ beschimpft. Mit einem gestohlenen Auto verfolgen sie den Mann und werfen schließlich einen mehrere Kilo schweren Stein ins Fenster seines Wagens. Er kommt von der Straße ab und rast gegen einen Baum. Die Täter werden zu fünf und acht Jahren Haft verurteilt. Noël Martin ist seit dem Unfall gelähmt. Martins Leben ist von da an nicht mehr dasselbe. Doch er will etwas verändern, er engagiert sich gegen Rassismus, will, dass sich deutsche und britische Jugendliche kennenlernen und Vorurteile überwinden. Im Jahr 2000 dann der nächste Schicksalsschlag. Seine Frau, die ihn aufopferungsvoll pflegte, stirbt 2000 an Krebs. An sie, Jacqueline Shields, erinnert der Name der Noël-und-Jacqueline-Martin-Stiftung, die bei der Stiftung „Großes Waisenhaus zu Potsdam“ angesiedelt ist. „Wir haben doch noch telefoniert“: Martins Tod löste in Brandenburg Betroffenheit aus. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) würdigte Martin, weil der nach der schrecklichen Tat die Kraft gefunden habe, „vor allem Jugendliche vor Rassismus und Rechtsextremismus zu warnen und für Toleranz und Verständigung einzutreten“. „Wir können nicht ungeschehen machen, was Noël Martin in unserem Bundesland passiert ist.“, sagte Woidke. „Aber sein Schicksal ist uns Verpflichtung, diesen Kampf in seinem Sinne fortzusetzen.“ „Wir haben doch noch miteinander telefoniert. Dabei hatte ich den Eindruck, dass er sich fit fühlt und Pläne macht“, sagte Michael Schwuchow (SPD), Bürgermeister von Blankenfelde-Mahlow. „Er freute sich schon auf nächstes Jahr, wenn die Corona-Einschränkungen keine Rolle mehr spielen und der Jugendaustausch mit Blankenfelde-Mahlow wieder stattfinden kann.“ „Betroffen und zornig“: Vor etwa einer Woche kam Noël Martin ins Krankenhaus, weil er nicht mehr Essen konnte. Er wurde künstlich ernährt. Seine Organe hatten 1996 bei der Neonazi-Attacke schweren Schaden genommen. Er sagte später immer wieder, dass es ein Wunder sei, dass er überhaupt noch lebe. Michael Ferguson hielt von Blankenfelde-Mahlow aus Kontakt zu Martin und dessen Pflegerinnen. „Noël Martin war ein Kämpfer“, sagte er. „Aber er hat sich die letzten Jahre auch gequält.“ „Dieser Tod macht betroffen und zornig“, sagte Sebastian Walter, Fraktionsvorsitzender der Linken. „Dieser Tod zeigt, dass Rassismus schon immer zu Taten führte und am Ende Leben kostet. So war es und so wird es sein, wenn wir nicht gegen halten.“ Von Torsten Gellner und Jutta Abromeit