Potsdamer Psychologin erklärt richtigen Umgang mit einem schlechten Zeugnisit

Maria Elisabeth Ahle ist stellvertretende Leiterin der Akademie für Psychotherapie und Interventionsforschung an der Universität Potsdam. Sie erklärt, wie Kinder und Erwachsene besser mit schlechten, aber auch guten Zeugnissen umgehen können. Frau Ahle, Frau Ahle, stellen wir uns die zehnjährige Connie vor, die heute ein Halbjahreszeugnis mit einigen Vierern und Fünfern in der Hand hält. Was würden Sie dem Kind raten? Ich würde das Kind zunächst als Mutter oder Vater in den Arm nehmen und für das bewältigte Schulhalbjahr loben. Dann kommt es natürlich erst einmal darauf an, wie Connie mit diesem Zeugnis umgeht und wie es seine Leistung selbst bewertet. Vielleicht ist sie enttäuscht und ich muss sie trösten. Ich könnte sagen: Dein Zeugnis ist auch eine Anerkennung für den regelmäßigen Schulbesuch, deine Anstrengungen und für Dein Bemühen, den Leistungen nachzukommen. Sei stolz auf Dich, bleib dran, lern weiter, ich helfe dir dabei. Du bist eine gute Schülerin. Wenn Connie aber antworten würde, sie sei viel schlechter als erwartet. Wie könnte man sie dann aufbauen? Ich würde Connie fragen, was sie im letzten Zeugnis hatte. Vielleicht ist es ja dieses Mal etwas besser. Ich würde ihr dann sagen, man muss immer stolz sein auf das, was man versucht hat, im Leben zu schaffen. Es ist immer auch die Anstrengung, die durch ein Zeugnis belohnt wird. Wenn sie höhere Erwartungen an sich hat, und beim nächsten Mal ein besseres Zeugnis haben möchte, ist das doch sehr gut. Ich würde sie fragen, wie ich sie unterstützen kann und dann in den nächsten Tagen konkrete Pläne in der Familie machen, wie man Connie zum Beispiel mit Nachhilfe oder mehr Zeit fördern kann. Wenn man traurig über einen Misserfolg ist, bedeutet das, dass man mehr möchte, also ehrgeizig ist. Diese Motivation kann ich nutzen, um mein Lernverhalten zu verbessern. Angenommen Connies Eltern wären etwas ehrgeizig und werden nun mit diesem suboptimalen Zeugnis konfrontiert. Was kann man ihnen raten? Auch die Eltern sollten zunächst die Anstrengung des Kindes betonen und belohnen. Vielleicht ist das Kind auch einfach ein "Dreierkind", also eines, das keine schulischen Höchstleistungen erbringen kann. Und natürlich muss man auch herausfinden, ob die Enttäuschung der Eltern nicht auch mit ihrer eigenen Lebensgeschichte zu tun hat. Wenn die Eltern aber erwidern, das Kind müsse doch Leistung zeigen, um im Leben etwas zu erreichen, was dann? Dann kann man darauf hinweisen, dass die Note in der Grundschule noch nichts darüber aussagt, was in der zwölften Klasse passiert. Außerdem ist ja auch ein Dreierabitur möglich. Und wenn die Eltern dann immer noch sagen, mir genügt das nicht, ist das eine negative Aussage über das Kind. Dann müsste man sie fragen, warum sie so negativ über ihr Kind sprechen. Noten sind ja nur ein bestimmtes Maß wie ein Meterband. Und wer sagt denn, dass man nur einsachtzig groß sein darf? Kann man elterlichen Ehrgeiz beeinflussen? Man kann sie ermuntern, das halbvolle Glas zu sehen und nicht immer nur das halbleere Glas. Eine Frage an die Eltern kann dabei lauten: Wie hätte ich mir als Kind gewünscht, dass meine Eltern mit mir als Kind umgegangen wären? So können sie vielleicht auch ihre eigenen Fähigkeiten als Eltern realistisch einschätzen lernen, also wie viel Zeit und wie viel positive Worte sie für ihr Kind haben. Sie müssen eine positive Hoffnung machende Sichtweise entwickeln. Wenn sie selber nur gestresst und enttäuscht sind, ist das auch nicht gut für die Kinder. Und dann kann man vielleicht schauen, ob das Kind Nachhilfe oder sonstige Unterstützung braucht. Das Wichtige ist, das Kind für seine Motivation zu belohnen und es auch motiviert zu halten. Wenn das Kind mit seinen Fähigkeiten akzeptiert wird, wird es auch weiterhin Lust auf Schule haben. Angenommen Connie ist viel älter? Wie sollen Jugendliche mit einem schlechten Zeugnis umgehen? Man kann die Jugendlichen zunächst einmal dafür loben, wenn sie eine Problemlage erkennen und sie dann fragen: Was brauchst Du an Unterstützung, damit Du das nächste Mal nicht enttäuscht bist? Der Jugendliche zeigt durch seine Enttäuschung ja auch Motivation und dass er etwas ändern will. Nehmen wir den gegenteiligen Fall eines guten Zeugnisses. Kann man hier auch zu viel loben? Das gibt es auch. Wir sagen dann, das Kind ist daran schon gewöhnt, das Einzellob hat gar einen Wert mehr. Wenn es jeden Tag Torte gibt, ist sie nicht mehr interessant. Das gilt auch für Lob. Es kann so zur Gewohnheit werden, dass es nicht mehr wirksam ist. Was wäre denn ein angemessenes Lob? Zunächst einmal das verbale Lob. Dann gibt es natürlich auch die Möglichkeit, dass die Familie gemeinsam was unternimmt, oder dass man ein kleines Geschenk gibt –auf jeden Fall aber nicht übermäßig. Man kann auch schon durch die Aufmerksamkeit, die man dem Kind schenkt, die Wertschätzung zum Ausdruck bringen. Spielt das Zeugnis überhaupt eine Rolle in der therapeutischen Praxis? Doch, schon. Wenn wir Kinder und Jugendliche behandeln, spielt es natürlich eine große Rolle. Hier müssen wir auch eine realistische Selbsteinschätzung und bestimmte Lernstrategien erarbeiten. Dann kann auch eine nicht so gute Note etwas Tolles sein. Auch die Eltern müssen realistisch sein und dürfen nicht in die unrealistisch negative oder zu positive Wertung verfallen. Vor allem geht es darum, dass man die Angst verliert, etwas nicht zu schaffen. Wir leben in so einer vielfältigen Welt, die praktisch alle Möglichkeiten bietet. Ist diese Vielfalt nicht überhaupt eine Möglichkeit für Leute, die nicht gut waren in der Schule? Für den späteren beruflichen Erfolg sind die Zeugnisnoten sowieso höchstens bis zu 40 Prozent entscheidend. Gerade die Noten im Halbjahreszeugnis haben nur sehr wenig mit einem späteren Berufserfolg zu tun. Und neben dem Berufserfolg gibt es ja auch noch die Aspekte Zufriedenheit, Gesundheit und seelische Gesundheit. Und zu diesen wichtigen Dingen tragen die Schulnoten nur zu einem ganz geringen Teil bei. Von Rüdiger Braun

Schule in Brandenburg - Psychologin: Auch mit einer Vier ist man ein guter Schüler