"Umkämpfte Zone" von Ines Geipel am Staatstheater Cottbus

Robert wird bald sterben. Seine Schwester, Ines, eilt ans Krankenbett des Bruders und begleitet ihn auf seiner Reise in den Tod. Sie blättern in alten Fotoalben, erinnern sich an den Vater, der sie, wenn er nicht gerade für die Stasi auf Auslandseinsatz war, zuhause schlug und vergewaltigte. An die Mutter, die zu allem schwieg und den Mantel des Vergessens über die kaputte Familie legen wollte. Wie ein Krebsgeschwür: Nie wurde darüber geredet, dass der Großvater dem Nazi-Wahn verfallen war und als SS-Mann mithalf, im Baltikum zehntausende Juden zu ermorden. Dass die Gewalterfahrung wie ein Krebsgeschwür von einer Generation auf die nächste vererbt wurde und die Familie sich nahtlos in die Diktaturen einpasste. Verdrängen und Vergessen, Schuld verleugnen und Verantwortung bei anderen abladen: Ist das der Grund, warum im Osten die Wut und Hass so groß sind und rechtsradikale Phrasen von AfD und Pegida auf fruchtbaren Nährboden fallen? Seelische Verwüstungen: Ines Geipel war einst in der DDR eine Weltklasse-Athletin und ist heute eine vehemente Kritikerin des Zeitgeistes. In ihrem Roman „Umkämpfte Zone“ hat sie auf der Folie ihrer Familiengeschichte die politischen und seelischen Verwüstungen von Menschen ins Visier genommen, die von Diktaturen manipuliert und zu willigen Werkzeugen abgerichtet wurden und nach der Wende zu rassistischen Wüterichen und fremdenfeindlichen Zombies mutierten. Abgründe der Gewalt: Regisseur und Autor Armin Petras, ehemals Intendant am Berliner Maxim Gorki Theater und am Staatstheater Stuttgart, bringt in Cottbus eine eigene Bühnen-Fassung des viel diskutierten Romans zur Uraufführung. Petras, der auch unter dem Pseudonym Fritz Kater Stücke schreibt, spitzt die Kontroversen zu, reduziert Personal und Themen, setzt auf den maximalen Kontrast von individuellem Leiden und gesellschaftlicher Unterdrückung, arbeitet sensibel am psychologischen Porträt von Bruder und Schwester und donnert grölend durch die Abgründe von Mord und Gewalt, die von der Macht gefordert und von den Vätern und Großvätern vollzogen wurden. Gut, aber nicht grandios: Weil der mit blutigen Verbänden auf einer Pritsche liegende Robert (Johann Jürgens) alles doppelt sieht, wird Ines zu einer gespaltenen Figur (Susann Thiede, Lucie Luise Thiede) mit mehreren Seelen: sie ist jung und alt, will nichts wie weg und bleibt dann doch, um ihren Bruder vor den Exzessen des Vaters zu beschützen, der an seine Kinder die Gewalt weitergibt, die er von seinem Nazi-Vater geerbt hat und die er jetzt bei seiner Arbeit als Stasi-Agent gut gebrauchen kann. Gunnar Teuber (Vater und Großvater) muss nur fies grinsen und seine Kinder durch einen dunklen engen Tunnel der Erinnerungen jagen, zuschlagen muss er nicht: die Gewalt ereignet sich in unserem Kopf. Aus der schwarzen Krypta des Vergessens (Bühne: Peta Schickart) drängt immer wieder ein vielköpfiger Chor ans Tageslicht, kommentiert das Geschehen, skandiert kommunistische Phrasen, brüllt Nazi-Parolen, haut uns die Geschichte der Gewalt, die vom Holocaust bis zu den Morden des NSU reicht, um die Ohren. Das tut weh. Schade, dass Petras nicht auf die Blödelei mit Pittiplatsch und Sandmännchen und einigen musikalischen Lückenfüller verzichten mochte. So wurde es zwar ein guter, aber kein grandioser Abend. Von Frank Dietschreit