Wie stark hat der Adel Hitler geholfen? Neues Buch von Historiker Malinowski (Hohenzollern-Streit)

Von Graf Dietlof von Arnim-Boitzenburg, einem einflussreichen Großgrundbesitzer in Brandenburg, heißt es, er habe den Namen Hitler zu Anfang stets absichtlich falsch geschrieben – mit zwei „t“. Reichspräsident Paul von Hindenburg bezeichnete den Ex-Frontsoldaten Hitler noch kurz vor dessen Machtergreifung (August 1932) als „böhmischen Gefreiten“ und im niederländischen Exil mokierte sich Ex-Kaiser Wilhelm II über die Tischmanieren und Knickerbocker-Hosen Hermann Görings. Mord an adeligen Generälen – schon 1933: Mit der noblen Herablassung gegenüber den braunen Emporkömmlingen war es spätestens am 30. Juni 1934 vorbei: In der „Nacht der langen Messer“ schickte Hitler Mordkommandos los, um unter anderem zwei adelige Reichswehrgeneräle zu töten. Ex-Reichskanzler Kurt von Schleicher und seine Frau wurden in ihrem Haus in der Villenkolonie Neubabelsberg von SS-Leuten erschossen, Ex-Generalmajor Ferdinand von Bredow starb in Berlin am 1. Juli durch zwei Kopfschüsse. Unter den Ermordeten waren nicht weniger als 15 Adelige. Die Vertreter der alten Elite des Kaiserreichs wussten seither, wie wenig Respekt die neuen Machthaber ihnen im Zweifel entgegenbringen würden. Es waren auch nicht zufällig Adelige, die 1944 das Attentat auf den Diktator wagten. Gleichwohl ist die Distanzierung des Adels von den Nazis in erheblichem Maße eine Nachkriegs-Fiktion, das zeigt ein neues Buch des in im schottischen Edinburgh lehrenden Historikers Stephan Malinowski. „Nazis and Nobles“ (Nazis und Adelige) heißt das auf Englisch erschienene Werk. Bis zu welchem Grad sich die von der Weimarer Republik entmachtete Ex-Elite mit den Nationalsozialisten eingelassen hat, das ist das hoch spannende Thema. Der Autor nennt die Verbindung ganz im höfischen Jargon eine „Mesalliance“ – eine nicht standesgemäße Partnerschaft, die im Unglück endet. Der Name Malinowski lässt aufhorchen. Eine gewisse Prominenz hat der Historiker kürzlich im Hohenzollern-Streit erlangt: Im Auftrag des Brandenburger Finanzministeriums erstellte er ein Gutachten zu der Frage, ob die ehemalige Kaiser-Familie dem Dritten Reich „erheblichen Vorschub“ geleistet hat. Diese Millionen-Euro-Frage – es geht um die Rückgabe von Kunst, Schmuck, Immobilien und sogar um ein Wohnrecht im Schloss Cecilienhof – hat Malinowski klar beantwortet: Die Hohenzollern gehörten zu Hitlers Steigbügelhaltern und seien daher von Entschädigungen auszuschließen. Spätestens der Auftritt im Kulturausschuss des Bundestags machte den Geschichtswissenschaftler über Fachkreise hinaus bekannt. Und: Die Hohenzollern haben ihn unter Androhung empfindlicher Summen verklagt – ähnlich wie Dutzende andere Forscher und Journalisten. Nicht nur die Hohenzollernanwälte werden die knapp 500 Seiten also aufmerksam lesen. Sozialgeschichte des Adels jenseits der Verklärung: Die Lektüre ist so aufschlussreich wie unterhaltsam. Malinowski ist eine herausragende politische Kulturgeschichte insbesondere Preußens gelungen, ein Porträt der aristokratischen Elite im Niedergang – jenseits von Fontane-seliger Verklärung des aufrecht-knorrigen Landadligen. In der Darstellung kommt dem Wissenschaftler eine Eigenheit des angelsächsischen Forschungsbetriebs zugute: Dort ist es nicht verpönt, wenn Fachleute knackig schreiben. Insbesondere die Junker östlich der Elbe, so urteilt der Historiker, hätten leicht Anschluss an die Ideen des Nationalsozialismus gefunden: Ablehnung der Gleichheitslehre, Führungsanspruch, Antisemitismus, Blut- und Bodenverwurzelung, Militarismus, Ablehnung städtischer „Asphaltkultur“ – die von militärischer Niederlage im Ersten Weltkrieg und wirtschaftlichem Niedergang gedemütigte Aristokratie habe „gemeinsame Feinde“ mit Hitlers Bewegung gehabt: Republikaner, Juden, Linke. Viele bekannte Familien stellten Parteimitglieder: Malinowski zählt auf, in welchem Ausmaß Aristokraten in Hitlers Machtapparat verstrickt waren: 40 von Bülows wurden NSDAP-Mitglieder, 70 Angehörige der Familie Osten, 34 von Bismarcks, 53 von Arnims, 30 von Tresckows, 43 von Kleists und so weiter – mindestens rund 4000 Adelige in Summe. Etliche traten schon vor der Machtergreifung in die Partei ein. Die Hauptthese des Buchs, das eine Überarbeitung und Aktualisierung des 2003 erschienenen Bandes „Vom König zum Führer“ darstellt, ist so einfach wie bitter: Der Adel hat in seiner großen Mehrheit die Weimarer Republik abgelehnt beziehungsweise bekämpft und zu ihrem Ende mit den Nazis paktiert. Das misslungene Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 sei weniger ein „Aufstand des Gewissens“ als ein „Aufstand des schlechten Gewissens“ gewesen, so Malinowski. Der gebürtige Berliner hat das in einem Spiegel-Interview im Jahr 2008 so zusammengefasst:„Ohne Adel hätte es keinen 20. Juli 1944 gegeben – aber eben auch keinen 30. Januar 1933. Das Attentat ist der zweite Teil, zu dem ein erster Teil gehört. (…) Geschichte verläuft von hinten nach vorn.“ Auflösung der Armee machte Offiziere arbeitslos: Die Rolle der Hohenzollern hat Malinowski trotz seiner persönlich-rechtlichen Händel mit der Familie nicht in den Vordergrund gerückt. Vielmehr beleuchtet er die sozialen Folgen des Epochenwechseln 1918 in den eher bodennahen Schichten der Noblesse bis hinunter auf die Ebene der Krautjunker. Der Geschichtswissenschaftler zeichnet nach, wie viele Adelige mit der Auflösung des kaiserlichen Heeres ihre berufliche Existenz einbüßten – allein 9000 adelige Offiziere seien entlasse worden, 4800 seien im Krieg gefallen, schreibt Malinowski. Zurück blieben tausende Witwen und Halbwaisen. Eine Art „Adelsproletariat“ ist laut Malinowski entstanden, abhängig von Zuwendungen Verwandter. Wenige Jahre zuvor hätten junge Adelige noch von einer Karriere in Offiziersuniform geträumt, nach der Niederlage jedoch als Taxifahrer, Tankwarte und Vortänzer gejobbt. Diese sozialen Absteiger seien besonders leicht zu radikalisieren gewesen, so Malinowski. Etliche Vertreter dieses Standes mordeten dann in Freikorps und rechten Terrororganisationen. SA und SS boten später Karriereoptionen, ebenso der öffentliche Dienst, nachdem er von Juden und Demokraten gesäubert worden war. Als Quellen dienen unter anderem Publikationen von Adelsgesellschaften mit ihren Kleinanzeigen und Meldungen zu Kartoffelspenden für verarmte Standesgenossen. Die Hohenzollern und ihre Nähe zu den neuen Herren: Die Rolle der Kaiserdynastie behandelt Malinowski knapp aber deutlich: In den 1980er-Jahren habe die Familie versucht, sich vom Vorwurf der Steigbügelhalterei zu befreien und den Ruf des Ex-Kaisers und des Kronprinzen wieder herzustellen, indem sie zwei historisch unhaltbare Verwandte in einer eigenen Studie habe fallen lassen: Kaisersohn Prinz August Wilhelm und Wilhlems II. zweite Frau Hermine, die der Ex-Monarch 1922 im Exil heiratete. „Auwi“ trat 1930 der NSDAP bei und wurde SA-Führer, Hermine pflegte ebenfalls schon Ende der 1920er-Jahre Kontakte zu den Nationalsozialisten. Doch erinnert Malinowksi daran, dass es der Kronprinz Wilhelm war, der 1932 zur Wahl Hitlers zum Reichspräsidenten aufrief. Wilhelm II seinerseits empfing Hermann Göring 1931 und 1932 in Doorn im Exil. Malinowski schreibt, die rechtliche Auseinandersetzung um das Hohenzollern-Erbe sei noch nicht beendet. Erreicht worden sei aber bereits eins: Die Familiengeschichte sei nicht länger privat (wie von den Anwälten angeführt), sondern ein wichtiger Teil der deutschen Geschichte. Süddeutsche Katholiken widerstanden den Nazis eher: Malinowski würdigt die Vielfalt adeligen Lebens und schränkt Pauschalurteile immer wieder ein. Der katholische bayerische Adel etwa hat sich laut dem Autor als deutlich resistenter gegen den Nationalsozialismus erwiesen als der ostelbische – Malinowski schreibt dies unter anderem der Existenz akzeptierter Führungspersönlichkeiten und der religiösen Werteorientierung zu. Im Gegenzug arbeitet er heraus, wie stark in Preußen der Ruf der Hohenzollern nach Flucht des Kaisers und seines Anhangs ins niederländische Exil 1918 gelitten habe. Nicht wenige Standesgenossen hätten von dem Herrscher den Heldentod im Feld erwartet, so Malinowski. Zu den großen Stärken des Buchs gehört die kulturelle Analyse der aristokratischen Elite schon vor dem ersten Weltkrieg: Wie sie in Ablehnung eines städtischen Kapitalismus das Landsmännisch-Bodenständige pflegt, die Jagd zelebriert und sprachliche Codes einübt, an denen jeder Emporkömmling scheitern muss. Wer ungeschickt zu Pferd saß, gehörte nicht zum Klub. Gegenüber dem intellektuellen Kult des Bildungsbürgertums in die Defensive geraten, verweigerten sich viele Adelige den schnellen Pointen bürgerlicher Besserwisser. Getreu dem Motto: Der Bürger muss „etwas werden“, der Adelige ist jemand qua Geburt. So entstand insbesondere in Preußen das Bild des anti-intellektuellen Junkers. Adel im Widerstand – kein Zufall: Es ist jedoch genau dieses grundkonservative Netzwerk aus eng verbundener Persönlichkeiten mit einem immer noch vorhandenen Führungsanspruch und eigenen Codes, das Hitlers Herrschaft als einziges existenziell zu bedrohen in der Lage ist. Der adelige Widerstand vom 20. Juli 1944 umfasste eine „beeindruckende Gruppe von Adeligen“, schreibt Malinowski – wobei er an anderer Stelle betont, dass nur „eine Handvoll“ der ehemaligen Aristokratie tatsächlich zum aktiven Widerstand fand. Gegenseitiges Vertrauen, ein gemeinsames Wertefundament und gewachsenes Selbstbewusstsein hätten die adeligen Verschwörer für den Putsch gut vorbereitet. Die Widerständler haben nach Malinowski aus Positionen nah am Machtzentrum gehandelt. Das machte ihr Aufbegehren so gefährlich für Hitler. Um allerdings an diese Schaltstellen zu gelangen, haben sich, so der Autor, auch diese Adeligen jahrelang mit dem mörderischen Regime arrangiert. Stephan Malinowski: „Nazis and Nobles: The History of a Misalliance“. Oxford University Press, 2020 erschienen. Von Ulrich Wangemann