Bad Belziger Verein scheitert mit seiner Kündigung wegen Flüchtlinghetze

Der Verein Soziale Arbeit Mittelmark (SAM) in Kuhlowitz (Bad Belzig) steht unter Druck und befindet sich tatsächlich in unangenehmer Lage. Denn er soll sich um mehrere hundert Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften kümmern, erkennt aber deutliche Hinweise dafür, dass leitende Mitarbeiter in den eigenen Reihen Flüchtlinge verachten. Die Folge: Entlassungen. Allerdings scheiterte die Kündigung eines leitenden Beschäftigten an diesem Mittwoch auf voller Linie vor dem Arbeitsgericht in Brandenburg an der Havel. Landkreis und Kommunen sind Mitglieder: Der soziale Träger, dem der Landkreis Potsdam-Mittelmark sowie 21 Städte, Ämter und Gemeinden im Landkreis als Mitglieder angehören, betreibt die Gemeinschaftsunterkünfte Michendorf, Bad Belzig und Kuhlowitz. Im vergangenen Mai hat ein ehemaliger Mitarbeiter und Bereichsleiter öffentlich schwere Vorwürfe gegen den Verein erhoben, nämlich dass er auf dem rechten Auge blind sei. Zwei leitende Angestellte würden sich fremdenfeindlich äußern und der Verein reagiere nicht. Diesen Vorwurf wollen die Verantwortlichen im Verein, der Landkreis und die Kommunen nicht auf sich sitzen lassen. Whistleblower ist kein Unschuldslamm: Die Vorgeschichte ist etwas pikanter als bisher bekannt. Denn der betreffende Whistleblower, der die Missstände im Mai öffentlich gemacht hat, ist selbst offenbar kein Unschuldslamm. Er hatte seinerzeit Grund, sauer auf den Verein SAM zu sein. Denn der hatte gerade erst das Arbeitsverhältnis mit ihm noch in der Probezeit beendet. Die beiden von ihm beschuldigten Kollegen waren wie er selbst Teil einer Dreier-Whatsapp-Chatgruppe namens „Die Nicht-Verstrahlten“. In diesem sehr engen Kreis wurde, wie der Betreiber der Flüchtlingsheime herausfand, aufs Übelste gegen das eigene Klientel gewettert: Flüchtlinge, Ausländer. Parasiten und Schmarotzer: Von „menschlichen Kakerlaken“, „Parasiten“ und „Schmarotzern“ ist in der Dreierrunde nach Darstellung des Vereins die Rede. Derjenige, der die Missstände angeprangert hat und bereits gekündigt ist, soll geschrieben haben: „Ich würde alle abschieben, am besten in ein syrisches Foltergefängnis.“ Nach der Lektüre des 21 Seiten umfassenden Whatsapp-Chatverlaufs kündigte Geschäftsführer Fabian Gunkel den verbliebenen beiden Angestellten aus der „Nicht-Verstrahlten“-Gruppe. Widerwärtig über Menschen geäußert: Ihre Äußerungen seien „nicht mit den Werten des Vereins vereinbar“, heißt es. Die Vereinsvorsitzende Eveline Vogel trägt im Gerichtssaal vor, dass sie noch nie so etwas habe lesen müssen. „Alle drei haben sich widerwärtig über Menschen geäußert, nicht nur über Asylbewerber, sondern auch über Mitarbeiter und Dienstvorgesetzte“, berichtet die Vorsitzende. Arbeitsrichter Robert Crumbach fragt den Verein, ob es weitere Gründe für eine Kündigung gebe. Etwa dass der auf Weiterbeschäftigung klagende Mitarbeiter öffentlich gegen Flüchtlinge gehetzt oder sich anderweitig inakzeptabel verhalten hätte. Geschäftsführer und Vorsitzende tragen im Prozess keine weiteren Gründe vor, die eine Kündigung rechtfertigen könnten. „Die Nicht-Verstrahlten!“: Simon Daniel Schmedes, Rechtsanwalt des Klägers, bestreitet, dass sein Mandant die vom Verein vorgelegten Inhalte der Chats empfangen oder versendet habe. Vielmehr habe der Drahtzieher die Whatsapp-Gruppe „Die Nicht-Verstrahlten!“ erstellt und seinen Mandaten hinzugefügt. Im Übrigen weist Schmedes darauf hin, dass sein Mandant „darauf vertrauen durfte, seine Behauptungen würden aus dem engen Kreis nicht nach außen dringen“. Der Rechtsanwalt fordert, die von dem Bad Belziger Verein vor Gericht gebrachten Whatsapp-Chatverläufe nicht zu verwerten. Fernmeldegeheimnis im Grundgesetz: Genau das ist am Ende dieses arbeitsgerichtlichen Verfahrens der springende Punkt. Der genannte Chat unterliegt dem Fernmeldegeheimnis und ist insofern grundgesetzlich geschützt. Er darf nach Auffassung der 2. Kammer des Arbeitsgerichts nicht verwertet werden. Richter Crumbach formuliert es so: „Der Chat existiert für uns nicht.“ Insofern kann er auch nicht die Grundlage einer Kündigung sein. Das Gericht vergleicht einen solchen Meinungsaustausch im kleinsten Kreis mit einem Gespräch unter zwei, drei Freunden in der Kneipe. Auch da vertraue man darauf, dass nicht einer plötzlich zum Arbeitgeber läuft. Berufung möglich: Das Arbeitsgericht verurteilt SAM dazu, den leitenden Angestellten weiter zu beschäftigen, das geforderte Zwischenzeugnis auszustellen und die kompletten Verfahrenskosten zu tragen. Gegen das Urteil kann der Verein vor dem Landesarbeitsgericht in Berufung gehen. Das Angebot, die Kündigung in eine Abmahnung umzuwandeln, hatten Geschäftsführung und Vorstand zuvor abgelehnt. Im Falle einer weiteren Mitarbeiter hatten sich zuvor beide Seiten auf einen Vergleich verständigt mit einer hohen Abfindung für die ausgeschiedene Frau. Von Jürgen Lauterbach