Brandenburg/Havel: Schuldunfähiger Brandstifter muss nicht in Haft

Der junge Mann auf der Anklagebank des Amtsgerichts Brandenburg wirkt ganz friedlich. Etwas verwirrt und fahrig zwar, aber keineswegs unfreundlich. Er gesteht das meiste, was ihm vorgeworfen wird. Und das ist eine ganze Menge. Weit mehr als zwanzig Straftaten hat Julian H. (29) aus Brandenburg/Havel in den vergangenen beiden Jahren begangen. Darunter eher kleinere Delikte wie Ladendiebstähle, Schwarzfahren und Sachbeschädigungen. Friseurin blaues Auge geschlagen: Darunter aber auch eine Kategorie von Vergehen und sogar Verbrechen, die schlimme Folgen hätten haben können. Einer Friseurin schlägt Julian H. ein blaues Auge, nachdem er in ihre Ladenkasse gegriffen und sie ihn dabei erwischt hat. Vor einem Ladendetektiv fuchtelt er mit einem Messer herum, sticht aber nicht zu. Die gravierendste Aktion: Am 17. September 2019 schlüpft er durch die nicht verschlossene Haustür in das Mietshaus Gutenbergstraße 23 hinein, in dem etwa zwanzig Menschen leben. An Holztür eines Mietshauses Feuer gelegt: Der junge Mann mit dem Rauschebart geht in den Keller. Dort holt er einen mitgebrachten Grillanzünder hervor, zündet ihn mit seinem Feuerzeug an, legt den Anzünder direkt an der hölzernen Kellertür und der Holztreppe auf Kohle und verschwindet dann. Die Holztür fängt Feuer und beginnt zu brennen. Zum Glück kommen gerade Leute ins Haus. Sie riechen, dass es brennt, und treten die Flammen aus, ehe sich das Feuer ausbreitet. Nichts Schlimmeres passiert. Eine Bekannte von Julian H., die in dem Haus wohnt, sieht den Übeltäter, den sie ohnehin für durchgeknallt und unberechenbar hält. Sie verständigt die Polizei, die den mutmaßlichen Brandstifter ergreift. Psychotische Störung: Die Diagnose der jungen Frau als Zeugin bei der Polizei fällt zwar nicht fachgerecht aus. Doch sie geht in die richtige Richtung. Der Angeklagte vor dem Schöffengericht hat eine psychotische, also krankhafte Störung. Sie bricht sich Bahn, wenn er Rauschgift nimmt. Und das geschieht so gut wie täglich in den Jahren 2018 und 2019. Julian H. ist von Hause aus kein böser Junge. Bis zum 7. Schuljahr läuft bei ihm zumindest scheinbar alles normal. Doch dann sackt er vollständig ab, wird bald darauf nur mit dem Wohlwollen seiner Lehrer als Achtklässler aus der Schule entlassen. Drogenkonsum beginnt mit 12 Jahren: Womöglich hat es den Jungen umgehauen, dass er eher zufällig erfährt, dass sein mutmaßlicher Vater, der gewalttätig ist, in Wahrheit nur sein Stiefvater ist und er seinen leiblichen Vater nie kennengelernt hat, weil der sich schon kurz vor der Geburt des Kindes von der Mutter getrennt hat. Julian H. nimmt nach eigenen Angaben Amphetamine und Marihuana zu sich, seit er zwölf Jahre alt ist. Mehr als 900 Fällen von Rauschgiftbesitz wirft ihm die Staatsanwältin vor. Er bestreitet diese Zahl, nicht aber den regelmäßigen Konsum bis zum vergangenen Jahr. Gefährlich schuldunfähig: Die Kombination von psychotischer Störung und Drogen- und auch Alkoholmissbrauch nennt Jens Köhler gefährlich. Der erfahrene psychiatrische Gutachter hält den jungen Mann für schuldunfähig bei sämtlichen Straftaten, die ihm die Staatsanwältin vorwirft. Sei es bei dem Versuch, das weiße Fahrrad zu stehlen, das an der Kreuzung Upstallstraße Rathenower Landstraße an das kleine, dort tödlich verunglückte Mädchen erinnert. Sei es auch bei seinen unflätigen Beleidigungen gegen seine Sozialpädagogin in der Sankt-Annen-Galerie und bei den Attacken gegen das Gebäude eines Vereins in der Warschauer Straße. „Ich kann den Verein nicht leiden“, begründet er die eingeworfenen Fenster. Zwölf Psychiatrie-Aufenthalte in einem Jahr: Zwölf Mal wurde der junge Mann im vergangenen Jahr in die geschlossene Krankenstation der Asklepios-Psychiatrie eingewiesen und nach einiger Zeit, wenn er nüchtern war, wieder entlassen. Mit seinem Hartz-IV-Geld bezahlt der ungelernte Mann seinen Drogenkonsum. Fürs Essen ist bisher die Mutter aufgekommen. Der sachverständige Gutachter hält den 29-Jährigen wegen seiner psychotischen Störung und der schweren Abhängigkeit für „zunehmend gefährlich“. „Die Straftaten werden sich steigern, ich erwarte keine Verbesserung“, sagt Jens Köhler im Gerichtsprozess. Rückfall an diesem Wochenende: Julian H. selbst hält sich selbst für inzwischen kuriert von den Drogen. Dagegen spricht allerdings, dass er erst am zurückliegenden Wochenende wieder mit Freunden Rauschgift genommen hat und prompt wieder in der Psychiatrie landete. „Ein einmaliger Rückfall“, so nennt es der Angeklagte. Das Schöffengericht verurteilt den Brandenburger nicht, denn er ist schließlich schuldunfähig. Die Richterinnen folgen aber dem Antrag der Staatsanwältin und ordnen seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Er bleibt nun also für eine ganze Zeit in der Klinik. Eine solche Entscheidung ist nur möglich, wenn ein Gericht eine fortlaufende Gefahr durch einen Straftäter sieht, zugleich aber eine Heilungschance erkennt. Von Jürgen Lauterbach