Brandenburg/Havel: Wie Jesus zur Nummer 1 von Schwester Christa wird

An Menschen mit Hund kommt Christa Weik kaum vorbei. „Fast immer spreche ich die Besitzer an“, gesteht die Frau, die wegen ihrer Tracht auf der Straße sofort auffällt. Die bekennende Christin und Schwäbin lebt erst seit vier Monaten in der Stadt. Die herzliche, freundliche Frau wohnt in der Walzwerksiedlung, liebt das Gespräch und wird gern auf ihre Tracht angesprochen, die ihre Lebensform nach außen sichtbar macht. Schwester Christa ist die einzige Diakonisse in Brandenburg an der Havel. Sie hat sich vor langer, aber nicht sehr langer Zeit für ein Leben mit Jesus entschieden. Ein Leben der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams. Tollster Beruf der Welt: Für viele Brandenburger mag sich das wenig verlockend anhören. Doch Schwester Christa versichert verschmitzt: „Ich habe den tollsten Beruf der Welt.“ Wer das fröhliche Gesicht sieht, glaubt ihr. Christa Weik verkörpert alles andere als das Leiden Christi. Sie lebt das Glück, die Freude und die Vielfalt, die Jesus offenbar für sie bereithält. Dabei habe sie „das Christentum keineswegs mit der Muttermilch aufgesogen“, erklärt die sprachgewandte Frau. Der Weg in die Berufung war nicht geradlinig. „Ich bin nicht geschlechtslos, sondern eine normale Frau“, sagt Schwester Christa. Sie verrät, wie sie sich verliebt hat und wie sie lange Phasen der inneren Unruhe erlebte, ehe sie im Alter von 28 Jahren eingekleidet und eingesegnet wurde. Die neue Mitte ihres Lebens: Das viele Jahrzehnte zuvor gesprochene Gebet ihres Großvaters, der lange vor ihrer Geburt gestorben ist, wurde von Jesus erhört, versichert die Diakonisse. Der Vorfahre, selbst erst spät zum Glauben gekommen, hatte für ein christliches Leben seiner Nachkommen gebetet. Mit vier Geschwistern wächst sie zwar in einer christlich geprägten Familie auf, erst im Schwarzwald, dann in Hamburg. Doch ein Leben als Schwester Christa liegt noch in weiter Ferne, als die 18-Jährige beide Eltern verliert. Die junge Frau arbeitet nach ihrer Ausbildung in einem medizinisch-technischen Labor in Hamburg und nähert sich in kleinen Schritten ihrer Berufung. Kirchenchor, Gemeinde, Bibelkreis. Mit 21 spürt sie, dass „Jesus die Nummer 1 sein will, die Mitte meines Lebens und nicht nur eine fromme Randerscheinung“. Doch es folgen zunächst Jahre der Kompromisse, der Unruhe und Tränen. Vom Labor ins Diakonissen-Mutterhaus: Christa Weik wechselt im April 1973 vom Labor ins Diakonissen-Mutterhaus im schwäbischen Aidlingen, wo sie als Gaststudentin eine Ausbildung zur Gemeindediakonin, Jugendreferentin und Religionspädagogin absolviert. Die Frage, wie ihr Leben weitergehen soll, klärt sich in Gesprächen, Gebeten und Bibelworten. „Ich rede mit Jesus, das kann man nicht erklären, nur innerlich erleben“, verrät die Christin Christa. Als die Lebensentscheidung auf diese Weise fällt, erlebt Schwester Christa die große Ruhe, die jene latente Unruhe sofort ablöst. Sie ist nun im Beruf Diakonin und in der Berufung Diakonisse. Genießt das Leben auf klarem Kurs. Eine lange Wanderschaft: Als Diakonisse entscheidet sie nicht allein, wohin künftige Wege sie führen. Ihr Mutterhaus entsendet sie, eine lange Wanderschaft beginnt. So gelangt die Gemeindepädagogin zehn Jahre lang nach Köln, mehrere Jahre lang nach Westfalen und in den Nordschwarzwald, drei Jahre lang als Marktfrau auf den Bibelwagen, der mit seinem Buchladen auf Pferde- und Krämermärkten in Deutschland Station macht, und vier Jahre als Kindermissionarin nach Sachsen. Zwischendurch arbeitet Schwester Christa im medizinischen Krankenhauslabor ihres Mutterhauses in Aidlingen und hilft in einer christlichen Schule im westafrikanischen Benin. Unter der Haube Kopf mit Hirn: Inzwischen ist die angestellte Diakonin im Rentenalter. „Aber nicht im Ruhestand“, betont sie. Ihre Rente fließt in die gemeinsame Kasse des Diakonissen-Mutterhauses. Von dort erhält sie Taschengeld und Wirtschaftsgeld, sodass ein einfaches Leben im Rentenalter gesichert ist. Gern räumt Schwester Christa mit Missverständnissen auf. Zum Beispiel, dass Diakonissen bestimmt nichts mit Autos, Computern und Handys am Hut haben. „Haube auf, Hirn raus“, belächelt die Führerscheinfreundin und E-Mail-Virtuosin solche Vorurteile. Mit schelmischem Blick versichert sie: „Unter meiner Haube befindet sich ein Kopf mit Hirn.“ Der Weg nach Brandenburg: Die in Nagold im Schwarzwald geborene Frau hat noch nicht erklärt, was sie ausgerechnet nach Brandenburg an der Havel geführt hat, obwohl zunächst Hamburg, wo die Geschwister leben, und Benin mit der christlichen Schule auf dem Zettel mit den Zukunftsplänen stehen. Aber in Hamburg wohnen ist zu teuer und Westafrika aus anderen Gründen im vergangenen Jahr unerreichbar. Außerdem kennt sie in Brandenburg an der Havel das junge Begegnungszentrum Gemeinschaftskirche Sankt Bernhard. Ihre christlichen Freunde, Pastor Hans-Martin Richter und Helmut Matthies, haben ihr vorgeschwärmt von Leben, Freundschaft und Glauben in der Walzwerksiedlung. Schwester Christa wird überzeugt. Im vergangenen September ist sie am richtigen Ort angekommen. Sie wird in und für die Gemeinde arbeiten, nennt das „Kontaktarbeit“. Was das ist? Schwester Christa: „Ich möchte die Menschen hier in ihrer Art, in ihrem Sein, in ihrer Lebenssituation wahrnehmen, um im Laufe der Zeit zu herauszufinden, in welcher Art und Weise ich ihnen die gute Nachricht von Jesus Christus bringen kann, sodass es für sie passt.“ Vernarrt in Hunde: Auch in ihrer 48-Quadratmeter-Wohnung mit Büro legt die evangelische Nonne ihre Tracht nicht ab. „Nein, die Tracht ist doch meine Kleidung“, sagt die Neubürgerin der Stadt. Eines fehlt ihr allerdings. Ein eigener Hund. Dafür ist die Wohnung einfach zu klein. Aber Schwester Christa tröstet sich. Sie treffe ja immer wieder Hundehalter. Ist gerade kein Vierbeiner in der Nähe, bleibt die Erinnerung an Leo, den Schäferhund. Zwischen seinen Vorderläufen hat sie als Kind Mittagsschlaf gehalten und durfte anschießend auf seinem Rücken durch die Küche reiten. Von Jürgen Lauterbach