Brandenburg an der Havel Neuer Chefdirigent für die Brandenburger Symphoniker

Aus seiner Sicht, so hatte Oberbürgermeister Steffen Scheller bereits vor einigen Tagen verraten, stehe nun einer Zusammenarbeit mit Olivier Tardy als neuem Chefdirigenten der Brandenburger Symphoniker nichts mehr im Wege. Nur der Theateraufsichtsrat müsse der Personalie noch den Segen geben. Und wie das ausgehe, könne er nicht sagen. Angespannte Stimmung: Was nicht verwundert. Denn die Stimmung am Brandenburger Theater ist seit geraumer Zeit angespannt. Die ständigen Personalwechsel an der Spitze, das endlose Hickhack um die Nachfolge des vor vier Jahren als Übergangs-Dirigenten angekündigten Peter Gülke und die Spannungen zwischen der aus der Verwaltung entsandten Geschäftsführerin Christine Flieger und dem teilweise mehr als selbstbewussten Orchester sind auch dem Aufsichtsrat nicht verborgen geblieben. Dass sich Scheller im Vorjahr dafür stark gemacht hatte, den Beigeordneten Wolfgang Erlebach wieder zum Aufsichtsratschef zu machen (und sich die SPD dafür hergab), statt der engagierten Lokalpolitikerin Birgit Patz, hat das Binnenverhältnis im Aufsichtsgremium weiter belastet. Am Donnerstagabend traf sich nun trotz Corona-Krise der Aufsichtsrat. Auf einen Umlaufbeschluss war verzichtet worden. Man saß weit voneinander entfernt und war es teilweise auch, wie es aus dem Gremium heißt. Ein Tagesordnungspunkt: Einziger Tagesordnungspunkt: Die Bestellung des neuen Chefdirigenten. Wie die MAZ berichtete, hatte sich das Orchester mit großer Mehrheit im zweiten Anlauf für Olivier Tardy ausgesprochen, nachdem David Reiland den Symphonikern zuvor einen Korb gegeben hatte. Der Franzose, der gut Deutsch spricht und mit Frau und zwei Kindern in München lebt, studierte zunächst in seiner Geburtsstadt Clermont-Ferrand und anschließend am Conservatoire National Supérieur de Musique de Paris. Nach dem Studium war er Mitglied der Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker, mit denen er auch auf zahlreichen Tourneen spielte. Mit großen Namen gespielt: 1996 wurde er als Soloflötist an die Bayerische Staatsoper berufen. Von daher kennt er auch noch den langjährigen Brandenburger GMD Michael Helmrath, der als Solo-Oboist bei den Münchner Philharmonikern Karriere gemacht hatte. Tardy spielte unter großen Dirigenten wie Claudio Abbado, Seiji Ozawa, Zubin Mehta, Günter Wand, Daniel Barenboim oder Kirill Petrenko, dem heutigen Chef der Berliner Philharmoniker. Nach langer, kontroverser Diskussion entschloss sich der Aufsichtsrat einstimmig, für die Anstellung Tardys zu stimmen. Der Dirigent soll einen Anstellungsvertrag bis zum Jahr 2025 bekommen. Im Jahr 2023 soll gemeinsam darüber entschieden werden, ob man sich eine weitere Zusammenarbeit über 2025 hinaus vorstellen könne. 12 Wochen Präsenszeit: Durchaus kritische Stimmen waren von der für die Linken in der SVV sitzenden Birgit Patz und dem Grünen Klaus Hoffmann im Verlauf der Sitzung zu hören. Denn die Idee, dass die einzig vollwertige Sparte des Brandenburger Theaters – also das Orchester – von einem Künstler vertreten werde, der auch dauerhaft in der Stadt präsent ist und dem Haus ein Gesicht gibt, wird sich mit Tardy nicht einfach umsetzen lassen. Der Dirigent ist begehrt und hat eine ganze Reihe weiterer Konzertverpflichtungen. Dem Vernehmen nach ist seine Anwesenheitspflicht auf zwölf Wochen begrenzt. Allerdings wird der Dirigent für Sonderkonzerte, Presseauftritte und ähnliches auch vor Ort zur Verfügung stehen. Scheller spricht mit Tardy: Scheller hatte, wie berichtet, den Dirigenten vor einigen Wochen zum Gespräch gebeten, an dem auch Flieger und Erlebach teilnahmen. Dort habe man sich gegenseitiger Wertschätzung versichert und Tardy habe durch seinen festen Willen, das Orchester voran zu bringen, überzeugt. Gleichwohl war das Bedauern im Aufsichtsrat groß, dass es nicht gelungen sei, einen Orchesterchef zu finden, der wie einst Michael Helmrath, dauerhaft in der Stadt wohnt und das Gesicht des Brandenburger Theaters wird. Gülkes Vertrag endet: Diskussionen habe es auch wegen der Gehaltsforderung des Maestros gegeben, die dieser aber, wie Scheller bestätigt, im Laufe der Verhandlungen deutlich reduziert hatte. Geht jetzt alles glatt, kann Olivier Tardy zur neuen Spielzeit den Taktstock am Pult von Peter Gülke übernehmen. Der 86-Jährige könnte dem Orchester im Rahmen von Gastkonzerten aber temporär erhalten bleiben. Dass sein Vertrag nun zur Spielzeit defintiv endet, habe Flieger dem scheidenden Dirigenten noch einmal deutlich gemacht, sagte sie im Aufsichtsrat. Innerhalb des Orchesters sorgte die Entscheidung des Aufsichtsrates gestern für hörbare Erleichterung. Wirklich glauben wollen die Musiker an das gute Ende der bisher unerfreulichen Geschichte aber erst, wenn die Unterschrift auf dem Vertrag trocken ist. Kritik am Orchester: Ungeschoren kamen die Musiker und insbesondere der Orchestervorstand im Aufsichtsrat nicht davon. Deren Auftreten gegenüber der Geschäftsführung wurde harsch kritisiert, ebenso wie der Umstand „dass dort ein Orchesterdirektor nach dem anderen verschlissen wird“, wie ein AR-Mitglied sagt. In der tat ist die berufliche Halbwertzeit der Orchesterdirektoren, die dem Chefdirigenten zur Seite stehen, in Brandenburg sehr gering. Bedauert wird insbesondere der Weggang von Victoria Tafferner, die vor über einem Jahr nach guter Arbeit entnervt das Handtuch warf und heute erfolgreich als Orchesterdirektorin der Mecklenburgischen Staatskapelle arbeitet. Von Benno Rougk

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