Corona: Gesellen auf der Walz im Rathaus von Brandenburg/Havel abgewiesen

Sicher, ihr Aufzug mit Schlips, Weste und Zylinder mag etwas angestaubt daher kommen. Auch die knorrigen Wanderstöcke und die ausgebeulten Säcke, in denen sie ihr Hab und Gut umhertragen, wirken auf den ersten Blick etwas befremdlich. Doch das sind alles keine Gründe, drei Handwerkern auf der Walz die traditionelle Gastfreundschaft zu verwehren. Genau das ist drei Wandergesellen aus Bayern, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern am Dienstag in Brandenburg an der Havel passiert. Das Trio, zwei Zimmermänner und ein Maurer, ist auf dem Weg nach Schweden. Zwei von ihnen sind bereits seit zwei Jahren unterwegs, einer seit einem Jahr. Vor einem Laden in der Hauptstraße treffen die drei jungen Männer auf Aaron Boldt aus Brandenburg an der Havel, der ihnen spontan einen Kaffee und etwas zu essen anbietet. In der Stadt verspottet, im Rathaus abgewiesen: Erstaunt erfährt Boldt, dass die Handwerksgesellen bei ihrem Aufenthalt in der Havelstadt schlechte Erfahrungen machen mussten. In der Stadt wurden sie wegen ihrer traditionellen Anzüge verspottet, im Rathaus verweigert man ihnen den traditionellen Empfang des Wappens der Stadt, das sie für den Nachweis ihrer Walz brauchen. Die Begründung für die Abfuhr im Rathaus: Corona. Wer sich auf Wanderschaft begibt, darf seinem Heimatort für drei Jahre und einen Tag nicht näher als 50 Kilometer kommen. Ein eigenes Auto und sogar ein Handy dürfen die Gesellen nicht besitzen. Alle drei wurden im vergangenen Jahr von der Corona-Pandemie auf der Walz überrascht, doch aufgeben ist für sie keine Option. Schwierigkeiten sind da, um sie zu meistern – auch das bedeutet Walz. Aaron Boldt organisiert kurzfristig Hilfe – mit Erfolg: „Ich fand das beschämend“, sagt der 62-jährige Boldt, der seinem Ärger am Dienstag in einem Facebook-Post Luft macht. In seinen Jugendjahren habe es wandernde Handwerksgesellen noch sehr viel häufiger gegeben. Dass man ihnen hilft, wo man kann, sei für ihn eine Selbstverständlichkeit, „ganz besonders in Corona-Zeiten“, sagt er. Durch den Lockdown gebe es derzeit keine Kneipen, in denen man Leute treffen könne und selbst die Kirchen hätten geschlossen. Einen Schlafplatz zu finden sei noch schwieriger als ohnehin schon. Boldt nimmt die Sache selbst in die Hand. Er telefoniert mit der SPD-Landtagsabgeordneten Britta Kornmesser, die informiert Stadtsprecher Jan Penkawa. Der CDU-Mann organisiert kurzfristig und unkompliziert Unterstützung für die drei Handwerksgesellen. Sie erhalten ihr Stadtwappen und obendrein noch jeweils fünf Euro für Essen und ein Getränk. Als das Trio seiner Wege geht, ist Aaron Boldt zufrieden. Gastfreundlich, unkompliziert, hilfsbereit – „So ist eigentlich die Havelstadt“, sagt er. Er wünscht sich, dass die Menschen gerade in Zeiten der Pandemie aufeinander zu gehen und sich gegenseitig unter die Arme greifen. Wer in der Stadt Menschen in altmodischen Aufzügen und mit knorrigen Stöcken treffe, sollte sie nicht abweisen, sondern sich ihrer annehmen und seine Unterstützung anbieten, sagt Boldt. „Sprecht sie an und fragt, ob ihr helfen könnt.“ Von Feliks Todtmann