Eine Ideen-Behörde für den sauberen Reim

Nicht die Vermessung der Welt, sondern lediglich des Gastraumes in der Theaterklause, machte es möglich, dass nunmehr 55 Menschen statt geplanter 40 Zuschauer im „Institut für Putzpoesie“ am Sonnabendabend zu Gast sein durften. Dafür mussten auch noch das Klavier auf der Bühne und die Hocker am Bartresen weichen, um noch ein paar Tische im Corona-Abstand zu verquetschen. Unverschorlbarkeit von Knoblauch: An besagter Dichterbehörde ist Jürgen Urig der Präsident und Wigald Boning der Generaldirektor. Mehr Mitarbeiter hat es und braucht es nicht am Ifpupo. Die beiden Wortakrobaten parlierten geschlagene zwei Stunden – feinsinnig wie polternd über den täglichen Irrsinn. So wird beispielsweise der gemeine Rharbarber zur Königs-Ingredienz von Fruchtschorlen erhoben, die „Unverschorlbarkeit“ von Knoblauch bedauert und das Verwenden von Meerrettich faktisch ausgeschlossen: „Wer sowas gerne trinken tut, steht auch auf sauren Bibersud.“ Die Banane im Dichterstreit: Das ganze Programm besteht aus einem Dichter-Battle, einem Reimwettstreit. Angefangen hat alles mit einer Banane in Urigs Haushalt, die sich binnen eines Tages von Gelb auf Schwarzbraun verfärbt hatte. Das ärgerte ihn so sehr, dass er seine Wut in ein Stimulus-Gedicht presste: „Das Ex-Bananenmahl“. Das postete der Dichter, Musiker und Gagschreiber auf Facebook. Zehn Minuten später rief Boning an und schlug den Wettbewerb vor: In jeder Woche durften abwechselnd Themenkategorien vorgeschlagen werden, an denen sich beide abarbeiteten. Hinreißender Nonsens: Lustvoll taten sie dies – egal ob es um „Wursttheken“, „Männlichen Bartwuchs“, „Deutsche Flüsse“, „Trinkbares“, „Gevatter Tod“, „Weihnachten“ oder Sanitäranlagen („Zum Hinsetzen schön“) ging. Bei manchen Wortspielereien musste man genau zuhören, um keine Silbe und damit den Gag zu verpassen, manche waren auch nur Nonsens. Aber hinreißend lustig, so ein bisschen wie Helge Schneider – nur ohne Musik. Damenbart als Lustkiller: Boning hat „gefühlte 800 Haikus“ geschrieben, eine japanische Gedichtform, die vereinfacht gesagt aus drei Zeilen und 12 bis 17 Silben besteht: „Über dem Käse Großmutters blinde Glocke. Quecksilber kocht.“ Oder: „Der Hase schlägt schlotternd Haken, keine Eier, nur Löffel.“ Kurz kann Urig auch. Sein Werk mit dem Titel „Stripteasebar II“: „Damenbart, nicht gepaart, Geld gespart.“ John Maynards Weihnachten: Es geht keinem von beiden darum, jeweils für sich den lautesten Brüller zu ernten. Sie lachen über die eigenen Gags genauso wie über die des Partners, verhaspeln sich im Übereifer und teilen gegenseitig aus. Als Boning ein dreiseitiges Weihnachtsgedicht über seine Festtagserlebnisse im Fernzug im Stile von Fontanes „John Maynard“ fertig deklamiert hat, kommentiert Urig trocken: „Da kommen irgendwann Kinder nach Hause und wollen kein Deutsch mehr lernen. Die Mütter fragen, wegen der ,Glocke’ von Schiller? Nein, wegen des Weihnachtsgedichts vom Boning!“ Perfekte Kooperation: Die beiden sind gestählt durch jahrzehntelange Zusammenarbeit auf und hinter der Bühne: Schon 1993 arbeiteten sie zusammen bei „RTL Samstag Nacht“, Urig war der Chef-Gagschreiber, Boning agierte vor der Kamera. Immer wieder kreuzten sich ihre Wege, der Comedian bezeichnet Urig als seinen Lieblingsautoren. Beide agieren auf Augenhöhe, gönnen sich gegenseitig die Lacher. Und versorgen gleichberechtigt die Zuschauer mit Nachdenkenswertem. Wie Urig, der beim Grundthema „Putzen für den sauberen Reim“ ins Philosophieren gerät: „Dabei kommt mir in den Sinn des Lebens: Denk ich eigentlich vergebens wenn ich denke, während ich den Sauger lenke: Der Staub, der hier die Dielen ziert, Ist das der Staub aus dem man war oder aus dem man wird? Ich bin verwirrt.“ Speisekarte in Reimform: Na hoffentlich finden beide zurück in die Theaterklause, sie haben eine Wiederkehr angedroht. Unter verschärften Bedingungen – dann wollen sie sich auch die Speisekarte vornehmen. Diesmal nicht nur zur Auswahl der Gerichte, sondern zum Verreimen. Da wird es nicht mit der einfachen Überschrift „Titel, Theken, Schinkenhäger“ getan sein. Von André Wirsing