Ex-OB Helmut Schliesing Rede vor der SVV

Helmut Schliesing (66) war von 1990 bis 2002 der erste frei gewählte Oberbürgermeister nach der Wende. An diesem Mittwoch hielt er anlässlich des Jubiläums 30 Jahre friedliche Revolution eine Rede in der Stadtverordnetenversammlung, alle Fraktionen hatten die Einladung einmütig mitgetragen. Am Rande sprach die MAZ mit dem SPD-Politiker. MAZ: Herr Schliesing, was ist ihre wichtigste Botschaft ihrer Rede an die heutigen Kommunalpolitiker? Helmut Schliesing: Es ist ja keine große Rede, sondern ein Grußwort. Ich habe mal meine Gedanken sortiert und bin immer wieder auf den Punkt gekommen, dass es ein großer Unterschied ist, ob man immer nur Forderungen erhebt und gegen etwas ist, oder ob man Verantwortung übernimmt, mit dem Anspruch für etwas zu sein, etwas gestalten zu wollen. Den Widerspruch gibt es heute noch. In der Tat gibt es dieses Splitting bis heute, zu viele Menschen warten darauf, dass etwas für sie getan wird. Wir sehen das im Ehrenamt und in der Politik – das Engagement ist dramatisch zurückgegangen. Ich vergleiche das immer mal wieder mit dem Weihnachtswunschzettel: Wenn die Kinder zu viel daraufschreiben, sind irgendwann Grenzen gesetzt, auch finanzielle. Das muss man den Kindern klarmachen. Doch wenn es um die eigenen Interessen geht, benehmen sich die Mütter und Väter gegenüber den Politikern nicht anders als die Kinder. Helmut Schliesing hat seine Rede in der Stadtverordnetenversammlung unter den Versöhnungsgedanken gestellt. Den Stadtverordneten gab er mit, dass sie keinen Dank für ihre ehrenamtliche kommunalpolitische Arbeit erwarten dürften. Gleichwohl warb er für die Akzeptanz der Andersdenkenden. Als Beispiel nannte Schliesing sein Verhältnis zum ehemaligen CDU-Stadtverordneten Friedrich von Kekulé, mit dem er sich in Sachen Kunst und Kultur immer einig gewesen sei. Er selbst sei dem Geist der Aufklärung zugetan, setze auf Rationalität. „Die diplomatische Vermittlung war mir manchmal nicht so gegeben“, gibt er selbstironisch zu. Erfahrungen von damals ließen sich nur schwer ins jetzt übertragen, der Optimismus sei aber immer gleich geblieben. Das Phänomen reicht manchmal auch bis in den Ton der Auseinandersetzung? Ja klar, man muss Prioritäten setzen, andere Meinungen mehr respektieren. Nur weil einer eine andere Sichtweise hat, ist er doch kein dümmerer Mensch. Was kann man aus ihrer Amtszeit in die heutige Zeit übertragen? Vor der allerersten SVV gab es einen ökumenischen Gottesdienst. Das muss man nicht jedes Mal machen, doch ab und an eine Besinnung, was haben wir geschafft, wo wollen wir hin, das wäre manchmal ganz sinnvoll. In dem Bäckerladen meiner Kindheit hing mal ein Spruch, den ich mir gemerkt habe: „Wer schaffen will, muss fröhlich sein.“ Diese Freude sollten wir vermitteln, um Menschen beispielsweise fürs Ehrenamt zu gewinnen. Hat es sie überrascht, zu dieser Stadtverordnetensitzung als Festredner eingeladen worden zu sein? In der Tat war ich sehr überrascht und auch sehr erfreut. Zumal in diesen Tagen sehr gehäuft zum Thema 30 Jahre Wende Veranstaltungen stattfinden. Ist ihre Einladung nicht auch ein Zeichen dafür, dass mit etwas Abstand ihr Tun und das ihrer Mitstreiter positiver bewertet wird als es zwischenzeitlich ein paar Mal der Fall war? Das ist ein generelles Phänomen, dass bestimmte Prozesse mit Abstand positiver bewertet werden. Schaut man sich meine Amtszeit mit etwas Ruhe an, muss man doch sagen, es ist einiges passiert. Welchen Ratschlag haben sie an die heutigen Kommunalpolitiker? Ich habe mal in einem Kommunikationsbuch gelesen, Ratschläge sind auch Schläge. Es gibt keinen Anlass dafür, das sind alles gestandene und lebenserfahrene Menschen. Mit den Verantwortungsträgern, denen ich begegne, verbindet mich eine gemeinsame Basis: Eine Zuneigung für diese schöne Stadt, die es allemal verdient hat, dass man sich um sie kümmert. Was ist für sie rückblickend ihr wichtigster Erfolg? Das ist schwierig zu beantworten bei der ganzen Komplexität. Neben der Unterstützung von außen ist die Atmosphäre ganz wichtig, der Glaube an die eigenen Kräfte, das Ausschalten von Resignation. Neudeutsch würde man sagen: „Yes, we can“ oder „Wir schaffen das“. Von André Wirsing

Interview - „Ratschläge sind auch Schläge“