Neues Buch: So sprechen Peter Gülke und Alfred Brendel über Beethoven und Schubert

Peter Gülke und Alfred Brendel reden ausführlich und mit großer intellektueller Souveränität über Musik, insbesondere über Werke, die Ludwig van Beethoven und Franz Schubert komponierten. Die Gespräche, die sie öffentlich führten, fanden während drei Schubertiaden in Hohenems und Schwarzenberg statt, Orte, die sich in Schuberts Heimatland Österreich befinden. Doch das Wunder der Musik kommt bekanntlich erst zustande, wenn über diese nicht nur gesprochen wird, sondern sie es vom Notenblatt ins Lebens schafft. Das wissen natürlich Gülke und Brendel wohl bestens. Beide sind hervorragende Musiker und zugleich inspirierend-überzeugende Musik-Denker, ja Erklärer. Der heute in London lebende Alfred Brendel gilt als einer der bedeutendsten Pianisten des 20. Jahrhunderts. Seine Klavierkonzerte sind legendär und die zahlreichen CD-Aufnahmen gehören längst zu den zeitlosen Kostbarkeiten gespeicherter Musik. Der Pianist, der auch gern Tastenphilosoph genannt wird, feierte am 5. Januar diesen Jahres seinen 90. Geburtstag. Nach seinem Rückzug aus dem öffentlichen Musikleben betätigt er sich verstärkt der Schriftstellerei. Seine Lyrik erschien bisher in fünf Bänden. Dass Komponisten und deren Werke immer wieder zum Nachdenken, zum Diskurs verführen können, hat Brendel während der Schubertiaden deutlich gemacht. Natürlich konnten die Gespräche nur mit Partnern stattfinden, mit denen er fachlich auf Augenhöhe zu diskutieren vermag. Daher lud er Peter Gülke aus Weimar ein, der bis zum Sommer 2020 amtierender Chefdirigent der Brandenburger Symphoniker war. Erst im November 2020 spielte Gülke mit dem Orchester und der lettischen Pianistin Lauma Skride Beethovens 5. Klavierkonzert in G-Dur auf CD ein. Die Aufnahme wird im Frühjahr unter dem Label Dabringhaus und Grimm erscheinen. Die intensiven, kenntnis-, geist- und detailreichen, hin und wieder launig geführten Gespräche und der wegen der Corona-Pandemie zum Briefeschreiben gewechselte Gedankenaustausch wurden soeben in dem Buch „Die Kunst des Interpretierens“ in einer Gemeinschaftsausgabe der Verlage Bärenreiter und Metzler veröffentlicht. Präsentation in Brandenburg an der Havel musste ausfallen: Im November des vergangenen Jahres wollte Gülke die Publikation im Brandenburger Theater vorstellen. Doch aus aktuellen Gründen wurde daraus leider nichts. Ohne Frage, beide Musikerpersönlichkeiten sind mit einem riesigen Kompendium an Wissen über Komponisten ausgestattet, das nur so zum Staunen einlädt. Im Buch sind Ludwig van Beethoven und Franz Schubert die dominanten Akteure. Auch deren geistige Umwelt, vor allem die literarische, wird bedacht. Für das Interpretieren von Musik ist ein umfangreiches Wissen eine gute Basis. Doch Peter Gülke weiß, dass „beim Musizieren und in der Probenarbeit es sich nicht aufdrängen darf, man muss es vergessen können, untergründig mitarbeiten lassen, es muss vom Kopf in den Bauch gewandert sein“. Dass Gülke während seiner fünfjährigen Chefdirigentenzeit mit den Brandenburger Symphonikern Sinfonien und Konzerte von Beethoven und Schubert aufführte, war für eine Selbstverständlichkeit, wohl auch ein Bedürfnis. Eindrucksvoller Höhepunkt: Der eindrucksvolle Höhepunkt: Die Interpretation von Schuberts Sinfonie Nr. 8 in C-Dur, auch „die Große“genannt. Sie wurde auf einer CD aufgezeichnet und ist an der Kasse des Brandenburger Theaters erhältlich. Diese Sinfonie unterscheidet sich von den früheren Sinfonien vor allem dadurch, dass sie sich von dem Vorbild der klassischen Sinfonie, wie sei Haydn und Mozart schrieben, wegentwickelt hat hin zu einer größeren Komplexität nach dem Beispiel Beethoven. Wegen der Länge und des enormen Schwierigkeitsgrades wurde sie in den Jahren anch ihrer Entstehung (1825/26) von professionellen Orchestern abgelehnt. In „Die Kunst des Interpretierens“ arbeiten sich Brendel und Gülke an der Großen C-Dur-Sinfonie ab. Der Pianist spürt dabei neidlos, dass der Dirigent tiefer in das Werk eingedrungen ist. Gülke erzählt, dass Schubert seinem Freund Leopold Kupelwieser, der in Rom als Maler wirkte, mitteilte, dass er sich „den Weg zur großen Sinfonie über die Komposition von Streichquartetten bahne“. Beethoven kann Musik kommandieren: Er gab aber auch zu, dass ihm damals aktuell die 5. und 7. Sinfonie von Beethoven vor Augen standen, so der Dirigent. Doch er erklärt plausibel die Unterschiede zwischen den beiden Komponisten. „Beethoven kann die Musik kommandieren, tut es oft und weiß doch genau, wo er’s nicht genau darf. Schubert liefert sich oft der Musik aus, überlässt sich ihr, ist auf schwer bestimmbare Weise tiefer in ihr drin.“ Peter Gülke konnte man in Brandenburg an der Havel nicht nur als versiert-erfahrenen Dirigenten erleben, sondern auch als einen Musikwissenschaftler von Rang. Seine Konzerteinführungen über Komponisten, Werk und Wirkung sprühten nur so von Kenntnisreichtum. Theorie und Praxis haben ihn ein Leben lang begleitet. Es machte den Konzertbesuchern Freude, Gülke bei seinen Vorträgen zu lauschen. Der musikalische Gewinn wurde beim anschließenden Konzert noch größer. Alfred Brendel / Peter Gülke, Die Kunst des Interpretierens, Gespräche über Schubert und Beethoven, Bärenreiter und Metzler, 29,99 Euro. Von Klaus Büstrin