Streit um Vaterschaftstest: Brandenburger Schüler sticht zu

Auf offener Straße greift ein junger Mann eine ebenso junge Frau mit seinem Messer an und sticht ihr in den Hals. Nur einmal, denn schon sind Passanten zur Stelle und bringen das aus Eritrea stammende Paar auseinander, sodass nichts Schlimmeres passiert. Die Zeugen des Vorfalls am 25. Mai in Beelitz-Heilstätten haben also nicht weggeschaut, sondern Zivilcourage gezeigt. Ein halbes Jahr später steht der Brandenburger Berufsschüler vor dem Jugendschöffengericht Brandenburg an der Havel. Reumütig vor Gericht: Der inzwischen 20-Jährige ist angeklagt wegen gefährlicher Körperverletzung. Er bestreitet den Angriff nicht und äußert sich vor Gericht reumütig. Er sei in damals in einer Ausnahmesituation gewesen, erklärt sein Verteidiger Mario Schink. Dem 2016 als Jugendlicher über Äthiopien, Libyen, das Mittelmeer und Italien nach Potsdam-Mittelmark gelangten Mann ist in dieser Lebensphase alles zu viel. Vor allem seine noch ungeklärte berufliche Perspektive und der Umstand, dass er gerade Vater geworden ist, bereiten ihm Stress. Er fordert Vaterschaftstest: „Leute“ erzählen dem jungen Mann „Geschichten“, flüstern ihm offenbar ein, dass er gar nicht der Vater des Kindes sei. Er ist irritiert und besteht bei seiner 19 Jahre alten Freundin, mit der er seit vier Jahren zusammen ist, auf einem Vaterschaftstest. Die Mutter will das eigentlich nicht. Dennoch geht sie erst in die Apotheke und dann zu einem Arzt, um den Vaterschaftstest machen zu lassen. Doch es ist die erste Zeit hoher Corona-Infektionszahlen, beide weisen die junge Frau ab. Streit eskaliert: Während einer Busfahrt am 25. Mai gerät das Paar in einen heftigen Streit wegen des Vaterschaftstests. Der mit einer Aufenthaltsgestattung versehene Angeklagte bewohnt nach einigen Jahren in Wohnheimen in einer eigenen Wohnung. Seine Partnerin will dem aufgebrachten Mann an dem Tag nicht in dessen Wohnung folgen, sondern zu sich nach Hause. Sie verlässt samt Baby den Bus und läuft davon. Er verfolgt sie, will sie schlagen. Als er sie eingeholt hat, packt er sie am Arm und drückt sie zu Boden. Zeugen gehen dazwischen: Die Partnerin steht auf und läuft auf die andere Straßenseite. Einen Moment später spürt sie ein Messer an ihrem Hals. Der Schnitt ist zum Glück nicht groß und nicht tief, sie wird nur leicht verletzt und trägt keinen bleibenden Schaden davon. „Leute kamen und haben uns auseinander gebracht“, berichtet das Opfer als Zeugin vor Gericht. „Ich war wütend aber jetzt bin ich es nicht mehr“, schildert sie ihre Gefühlslage. Sie berichtet, dass der Angeklagte niemals gewalttätig gewesen sei und fügt hinzu: „So kannte ich ihn nicht.“ Sie will bei ihm bleiben: Mit dem Angeklagten ist das Opfer längst wieder im Reinen. Die Vaterschaft ist zufriedenstellend geklärt. Das kleine Mädchen trägt sie im Zeugenstuhl auf ihrem Schoß. Sie sieht ihre Zukunft nach den Monaten der gerichtlich angeordneten Kontaktsperre an der Seite des Angeklagten, will mit ihm zusammenbleiben. Eine kleine Narbe erinnert sie an den Angriff. Der Staatsanwalt fordert eine Jugendstrafe von einem Jahr auf Bewährung für den Mann, der in seinem Heimatland mit seinen Eltern und fünf Geschwistern aufgewachsen ist und nun den Realschulabschluss in Brandenburg an der Havel anstrebt. In der Abendschule. Nachts geht er sieben Stunden lang arbeiten, um sein Leben und das seiner Tochter zu finanzieren. „Er hätte sie töten können“: Verteidiger Mario Schink erkennt bei seinem Mandanten keine schädlichen Neigungen oder einen Erziehungsbedarf, die eine Jugendstrafe rechtfertigen würden. Er plädiert auf eine Verwarnung. Das Jugendschöffengericht verurteilt den Angeklagten zu acht Monaten Jugendstrafe auf Bewährung. Die Richter erkennen in dem Messerangriff auf den Hals eine hohe Gefährlichkeit und somit eine schwere Schuld. „Er hätte sie töten können“, sagt die vorsitzende Richterin. Das Urteil ist schon rechtskräftig. Von Jürgen Lauterbach