Der somalische Angeklagte Nur S. (36) war Pirat im Golf von Somalia, saß wegen Schiffsentführung und Geiselnahme jahrelang in französischen Gefängnissen, tötete in Teltow einen Landsmann mit 19 Messerstichen und wurde deshalb zu elfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis verletzte er einen JVA-Beamten mit einem Flaschenwurf im Gesicht. Dafür erhielt er am Dienstag in Brandenburg/Havel eine zweieinhalbjährige Haftstrafe.
Störrische Angeklagte und patzige Antworten sind Gerichte gewohnt. Der modern frisierte Somalier mit dem fein getrimmten Vollbärtchen ist von einem anderen Kaliber. In seiner Muttersprache beleidigt Nur S. fast alle Prozessbeteiligten: Richterin, Staatsanwältin, Zeugen, Dolmetscher und seinen eigenen Verteidiger.
Beleidigungen zu heftig zum Übersetzen
Die Beleidigungen sind wohl so heftig, dass der Dolmetscher, ein junger Architekturstudent aus Berlin, die Worte nicht übersetzen mag. Später in einer Prozesspause verhindert der Dolmetscher, dass der Angeklagte seinem Anwalt an die Gurgel geht. Der Ex-Pirat hat ein Leben geführt, das sich Bürger westlicher Länder kaum vorstellen können. Aufgewachsen ist er mit etwa zwölf Geschwistern in einfachsten Verhältnissen auf dem Lande. Falls der Gutachter richtig informiert ist, wurde er als Kind von Ziegen gesäugt.
In seiner somalischen Heimat will Nur S. eine Militärausbildung gemacht und für die Regierung gearbeitet haben. Er lässt sich für ein Piratenschiff anheuern, wo die französische Marine ihn 2008 wegen Piraterie verhaftet.
Nach dreieinhalb Jahren U-Haft verurteilt ihn ein französisches Schwurgericht zu sieben Jahre Haft, zehn Monate kommen später hinzu, weil er eine Wachtmeisterin im Gefängnis sexuell nötigt.
Als Nur S. 2014 aus der Haft entlassen wird, setzt er sich nach Deutschland ab, gelangt über Umwege nach Brandenburg. Im Übergangsheim in Teltow ersticht er einen 21 Jahre alten Landsmann. 19 Stichwunden weist der tote Körper auf.
Nackte Frau mit Bananenaufklebern übersät
Das Landgericht Potsdam verhängt im Dezember 2015 elfeinhalb Jahre Haft wegen Totschlags. Drei Monate später überfällt er beim abendlichen Gefangenenzählen zwei JVA-Beamte und verletzt einen 58 Jahre alten Gefängnismitarbeiter so schwer, dass er bis heute an den psychischen Folgen leidet und ständig krank ist. Eine mit Wasser gefüllte Ketchupflasche schleudert er so wuchtig gegen den Mann, dass der eine tiefe Risswunde und eine Augapfelprellung davonträgt. Im Gericht leugnet er die Tat zunächst, begründet sie aber später damit, dass der JVA-Beamte in sein Essen gespuckt und seine Frau vergewaltigt habe.
Solche abstrusen Darstellungen nennt der begutachtende Psychiater Jens Köhler „magisch-mystifizierend“. Bei dem Mann, der eine nackte Frau an seine Zellenwand gemalt und diese dann mit Bananenaufklebern übersät hat, erkennt der Sachverständige keine in der westlichen Welt bekannte psychische Erkrankung.
Der Angeklagte ist zwar ein antisozialer Typ, aber eben nicht wahnhaft, denkgestört und damit eingeschränkt schuldfähig. Zu den zweieinhalb Jahren Gefängnis wegen gefährlicher Körperverletzung verhängt die Richterin noch eine einwöchige Ordnungshaft wegen Missachtung des Gerichts. Nur S. war zur Urteilsverkündung sitzen geblieben.
Von Jürgen Lauterbach