Mit großen Schritten eilt die kleine Mathilde über den Feldsteinweg hinüber zu den Ställen an der Reithalle. In der Hand trägt das Mädchen einen Koffer. Darin befinden sich Bürsten und Hufkratzer. Gleich wird sie Granosch von der Weide holen und reiten. Samstags findet auf dem Reitgut Boddinsfelde Tandem-Reitunterricht statt. Ein Erwachsener und ein Kind teilen sich ein Pferd in anderthalb Stunden. Gemeinsam bereiten sie das Tier vor, striegeln es, reinigen die Hufe. Dann wird gesattelt. „Zum Aufstieg“, ruft Katrin Labrenz kurze Zeit später ihre Schützlinge. Sie und ihr Mann Herwig sind die Chefs auf dem Hof.
Gemeinsam hat die Familie Labrenz das Gut Boddinsfelde – die gesamte Anlage steht unter Denkmalschutz – vor dem Verfall bewahrt. Im Gutshofmuseum kann sich der Besucher die Geschichte des Hofes von seiner Entstehung bis heute ansehen. Allerdings wird die Fassade derzeit verschönt, so dass der Zutritt nur eingeschränkt möglich ist. „Seit 2006 sanieren und bewirtschaften wir den unter Denkmalschutz stehenden Gutshof Boddinsfelde“, sagt die Chefin. Sie habe schon vielen Gästen über die Geschichte der Anlage Auskunft erteilt. Zu dem früheren Gut Boddinsfelde gehören ein Waage- und Arbeiterhaus, Stall- und Scheunengebäude, ein Spritzenhaus mit Taubenturm sowie Schule und Achtfamilienhaus mit Nebengebäuden. Dazu kommen die zum Teil erhaltenen Flächen der ehemaligen Rieselfeldanlage – bestehend aus Schlägen und Tafeln, Be- und Entwässerungsgräben, Verteilerbecken, Erschließungswegen und Absatzbecken.
Angelegt wurde das Riesel-Gut in den Jahren 1907 bis 1910 für die Gemeinde Rixdorf (seit 1912 Neukölln) nach dem Entwurf des Stadtbauinspektors Hahn. Mit der 1920 erfolgten Eingemeindung von Neukölln nach Berlin wurde Boddinsfelde Teil der „Berliner Stadtgüter“.
Seit 1945 ist Boddinsfelde Gemeindeteil von Brusendorf, das heute zur Stadt Mittenwalde gehört. Noch von der Gemeinde Rixdorf wurde Ende des 19. Jahrhunderts eine etwa 25 Kilometer lange Hauptdruckrohrleitung verlegt. Zu der Zeit erlebte Berlin einen gewaltigen Aufschwung. Immer mehr Menschen zogen in die Stadt. Die Abwässer flossen noch durch die Rinnsteine und der Inhalt zahlreicher Abortgruben versickerte in der Erde. Das führte zu hygienischen Problemen, für die eine Lösung gefunden werden musste.
So beauftragte im Jahr 1860 der zuständige Minister von der Heydt den Geheimen Baurat Friedrich Eduart Salomon Wiebe, einen Entwässerungsplan für Berlin auszuarbeiten. Sein Plan fiel zunächst durch bei den Berliner Stadtverordneten, wurde dann aber später doch bewilligt. Durch Ankauf von Rittergütern und Bauernland wurden dann im Laufe der Jahre stadteigene Riesel-Güter in der Nähe Berlins eingerichtet. Die Entstehung des Riesel-Gutes Boddinsfelde ist unmittelbar mit dem kontinuierlichen Ausbau des Entwässerungssystems zu Beginn des 20. Jahrhunderts verknüpft. Es ist eines von 50 Gütern mit einer Gesamtgröße von 29 000 Hektar. 1930 war es gar die größte Rieselfeldanlage der Welt. Genutzt wurde es bis 1989 zur Abwasserverrieselung.
Lange Zeit stand das Gut dann leer und war dem Verfall preisgegeben. Zu der Zeit betrieb Familie Labrenz in Selchow einen Pferdehof. Doch seitdem es mit der Ruhe wegen des neuen Flughafens BER vorbei ist, hat die Familie nach einem anderen Ort für den Reiterhof gesucht – und in Boddinsfelde gefunden. Im August vor nunmehr zehn Jahren übergab die damalige Kulturministerin Johanna Wanka einen Zuwendungsbescheid über 13 000 Euro Fördermittel. Weiteres Geld kam vom Landwirtschaftsministerium Brandenburgs und aus dem Landkreis Dahme-Spreewald. Die Familie selbst musste einen hohen Eigenanteil in den Aufbau einfließen lassen.
Doch das, was seither auf dem Gutshof passiert ist, lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Der alte Gutshof ist in neuer Schönheit auferstanden. Die Fassaden der Gebäude erstrahlen in einem freundlichen Gelb. Familie Labrenz hat eine moderne Reithalle errichtet, an die sich ein Boxentrakt anschließt, in dem die eigenen Schulpferde wie die Tiere privater Besitzer untergestellt sind. Vor dem einstigen Spritzenhaus, das wegen seines Taubenturmes nur noch Taubenhaus genannt wird, befindet sich ein Dressurviereck. Ein kleiner Spielplatz mit Tischtennisplatte, Karussell und Kletterpferd lässt die Kleinen unter den Reitern weniger ungeduldig auf die ersehnte Reitstunde warten. Eine kleine Sitzgruppe am Eingang zur Reithalle lädt zu Verschnaufpausen nach dem Ausritt ein.
Irgendwie herrscht dort immer eine geschäftige Ruhe. Die einen putzen ihre Pferde, die anderen kehren weg, was sie aus den Hufen kratzten oder die Vierbeiner fallen ließen. Es wird Heu zu den Ställen gefahren. Ein Lkw bringt die Pferdeäpfel weg. Katrin Labrenz plant die nächste Reitstunde am Samstag. Jedes Reiter-Tandem trägt sie in ihren Kalender ein. Ein Hämmern an der Fassade des Seitengebäudes, in dem sich auch das Museum befindet, verrät, dass die Arbeiten dort auch zehn Jahre nach der Übernahme noch längst nicht abgeschlossen sind. Ein Herzensanliegen ist es Familie Labrenz auch, dass die alte Friedhofs-Kapelle, die einst zum Gut gehörte, aber nicht mit auf die Denkmalliste gesetzt wurde, wieder hergerichtet wird. Momentan beschäftigen sich die Ausschüsse der Stadtverordnetenversammlung von Mittenwalde mit dem Thema. Boddinsfelde soll auch seinen Friedhof zurückerhalten. Denn die einst totgesagte kleine Ortschaft ist zu neuem Leben erwacht. Das kann jeder, der kommt, sehen. Der Gutshof ist nur ein Beispiel dafür.
Von Andrea Müller