Königs Wusterhausen: Streit um Swen Ennullat

Das Jahr 2020 wird in die Chronik von Königs Wusterhausen eingehen als das Jahr, in dem die Stadt eskalierte. Es wurde geschimpft, geklagt, prozessiert. Die Front ist hart und unverrückbar: Auf der einen Seite steht ein Bündnis aus SPD, CDU, Linken, Grünen, Wir für KW/BVO und zwei fraktionslosen Stadtverordneten. Auf der anderen Seite Bürgermeister Swen Ennullat (FWKW), der zwischendurch auch noch beurlaubt wurde. Um Sachthemen geht es dabei längst nicht mehr. Es geht ums große Ganze: verletzte Eitelkeiten, Misstrauen, die Prinzipien der Demokratie. Aber wie konnte es dazu kommen? Und wo soll das alles hinführen? Die MAZ fasst das Jahr noch einmal zusammen. Die Vorgeschichte: Um die Ereignisse des Jahres 2020 verstehen zu können, muss man früher ansetzen. Eigentlich 2013. Da wird Swen Ennullat, Ex-Polizist, Ex-Staatsschützer und damals CDU-Mitglied, im Königs Wusterhausener Rathaus als Fachbereichsleiter eingestellt. Sein Vorgesetzter: Bürgermeister und SPD-Mann Lutz Franzke. Ein Jahr später deckt Ennullat Unregelmäßigkeiten um die freie Kita „Knirpsenstadt“ auf. Bei der Kita versickern städtische Gelder. Ennullat macht das Thema gegen Franzkes Willen öffentlich. Es kommt zum Streit. Franzke stellt Ennullat frei und lässt seinen Vertrag mit Ende der Probezeit auslaufen. Ennullat bemüht sich anschließend um eine Anstellung im Lübbener Rathaus. Die Chancen stehen gut – aber Landrat Stephan Loge (SPD) macht sie wohl zunichte. Als Ennullat 2017 in Königs Wusterhausen als Bürgermeister kandidiert, ist der politische Filz eines seiner Hauptthemen. Aus der CDU ist er inzwischen aus- und bei den Freien Wählern eingetreten. Die Stichwahl gegen SPD-Mann Georg Hanke gewinnt er deutlich. Aber noch vor dem Amtsantritt bekommt er Besuch von der Polizei, die sein Haus durchsucht, weil im Rathaus angeblich Akten zur Kita „Knirpsenstadt“ verschwunden sind. Wer ihn angezeigt hat, bleibt unklar. Lesen Sie auch Warum Ennullat und die Stadtverordneten streiten – ein Kommentar Als Rathauschef macht Ennullat angebliche „Bimbo“-Aussagen des bisherigen Vize-Bürgermeisters Jörn Perlick öffentlich, stellt ihn damit aufs Abstellgleis und befördert den von Franzke schon geschassten René Klaus zu seinem neuen Stellvertreter. Auch andere Führungsposten besetzt er neu. Seine Politik in der SVV ist von Beginn an ein Frontalangriff auf SPD, Linke, Teile der CDU. Unter anderem blockiert er den lange geplanten Bau der Grundschule in Senzig auf den Bullenberg, ein Franzke-Projekt. Im Alleingang verklagt er den Landkreis, weil er die Kreisumlage zu hoch findet. Aber auch die angegriffenen Fraktionen gehen nicht zimperlich mit ihm um. Um gestalten zu können, braucht Ennullat eine Mehrheit. Nach der Kommunalwahl 2019 hat er sie – zumindest für ein paar Monate. Aber dann bringen SPD und Grüne den Kunstrasenplatz für Eintracht KW auf den Plan. Auch ein altes SPD-Projekt. Ennullat wehrt sich. SPD und Grüne bieten einen Kompromiss an: Die Stadt sichert 300.000 Euro zu, den Rest der Baukosten treibt der Verein auf, unter anderem über Fördermittel. Aber Ennullat stellt sich quer. Bei seinen Unterstützern im bürgerlichen Lager wie der SVV-Vorsitzenden Laura Lazarus (CDU), CDU-Fraktionschef Christian Möbus und Grünen-Fraktionschefin Ines Kühnel macht sich zunehmend Unverständnis breit. Im Dezember 2019 dann der offene Eklat: Mit großer Mehrheit beschließt die SVV, die 300.000 Euro für den Kunstrasenplatz in den Haushalt aufzunehmen. Ennullats bisherige Unterstützer stimmen gegen ihn. Damit ist das Tischtuch zerschnitten. Swen Ennullat beanstandet den Beschluss noch in der Sitzung. Anschließend reicht er den Haushalt ohne die 300.000 Euro zur Genehmigung ein. Und das chaotischste Jahr in der Geschichte der Königs Wusterhausener Kommunalpolitik nimmt seinen Lauf. Januar: Swen Ennullat bietet dem Landrat eine Mediation an, um sein Verhältnis zum Landrat zu verbessern. Landrat Loge lehnt brüskiert ab, spricht von einer „ungeheuren Provokation“. Wenige Tage später veröffentlicht Ennullat eine Pressemitteilung. Darin kritisiert er, dass der Landkreis den Haushalt der Stadt KW„ohne nachvollziehbare Begründung“ abgelehnt habe. Er wirft dem Landkreis „Rechtsbruch“ vor. Der Landkreis antwortet, dass der Haushalt nicht geprüft werden könne. Ennullat habe nicht die beschlossene Version eingereicht, es fehlen 300.000 Euro. Ennullat nennt diese Darstellung: „Schlichtweg falsch.“ In der SVV regt sich Unmut. Von einer „Missachtung demokratischer Entscheidungen“ ist die Rede. Ennullat hingegen wirft der SVV vor, dass sie mit dem Bestehen auf den Kunstrasenplatz viele Projekte gefährde. Februar: Die SVV beschließt nach hitziger Debatte, dass Swen Ennullat den Haushalt in der beschlossenen Form der Kommunalaufsicht vorlegen soll. Der Bürgermeister fährt stattdessen mit Vertretern von FWKW und AfD ins Innenministerium und bittet dort um Klärung. In einem MAZ-Interview fordert Ennullat zudem, dass die öffentliche Kritik an ihm aufhören müsse. Er erneuert auch das Gesprächsangebot an den Landrat, schickt ihm gleichzeitig eine Unterlassungserklärung: Der Landkreis soll nicht mehr behaupten, der von Ennullat eingereichte Haushalt sei nicht prüffähig. Landrat Loge dazu: „Solche Schreiben bekomme ich normalerweise von Reichsbürgern.“ Wegen dieser Äußerung wird er von Ennullat angezeigt. Ennullat beginnt damit, kritische Äußerungen von SVV-Mitgliedern in einem Ordner zu sammeln. Die SVV-Vorsitzende Laura Lazarus sagt in einem MAZ-Interview: „Ich wünsche mir, dass der Bürgermeister künftig Wege sucht, Mehrheitsbeschlüsse der SVV umzusetzen, statt sie zu beanstanden.“ März: Ennullat macht die SVV in einer Pressemitteilung für den Stillstand verantwortlich, weil sie auf den Kunstrasenplatz besteht. Die SVV-Mehrheit reagiert genervt. Das Innenministerium teilt derweil mit, Ennullat müsse die 300.000 Euro in den Haushalt einarbeiten und ihn wie beschlossen einreichen. Der schlägt stattdessen vor, wegen Corona einen ganz neuen Haushalt aufzustellen. Die SVV-Mehrheit will keinen neuen Haushalt. April: SPD-Mann Georg Hanke klagt vor dem Verwaltungsgericht, weil das Rathaus ihm Akteneinsicht zur Grundschule Senzig verwehrt. Swen Ennullat verklagt derweil den Landkreis, weil der den Haushalt nicht prüfen will. Die SVV-Mehrheit ist so genervt, dass sie für die Sitzung der SVV zwei Tagesordnungspunkte ansetzen will. Einer soll eine Aussprache mit dem Bürgermeister sein. Beim anderen geht es darum, dass ein Rechtsanwalt dienstliche Handlungen Ennullats überprüfen soll. Ennullat, der die Tagesordnung bekannt machen muss, streicht beiden Punkte von der Tagesordnung. Mai: Die erste Sitzung nach der Corona-Pause findet in der Paul-Dinter-Halle statt. Ennullat und seine Verwaltung gehen nach zwei Stunden und beziehen sich auf eine angebliche Empfehlung des RKI für die schlecht zu belüftende Dinter-Halle. Das RKI teilt auf Nachfrage mit, man habe der Stadt keine Empfehlung für die Dinter-Halle gegeben. Von den Beschlüssen, die die SVV an diesem Tag fasst, beanstandet Ennullat zehn. Als nach der Sitzung jemand auf Facebook über die SVV-Mehrheit schreibt „Diese Menschen müsste man aus der Stadt jagen“, vergibt Ennullat ein Like. Später sagt er, es war ein Versehen. Die SVV beruft daraufhin eine Sondersitzung ein, will erneut über Ennullats Verhalten sprechen. Ennullat streicht die beiden strittigen Punkte erneut von der Tagesordnung, was eine Diskussion unmöglich macht. Laura Lazarus sagt die Sitzung deshalb wieder ab. Ennullat tagt mit Vertretern von FWKW und AfD trotzdem. Ob es sich um eine reguläre SVV-Sitzung handelte, bleibt unklar. Die AfD beantragt, dass Laura Lazarus als Vorsitzende abgelöst wird. Ennullat befürwortet den Antrag „ausdrücklich“. Da die Gruppe aber nicht beschlussfähig ist, berufen die Ennullat-Unterstützer eine Wiederholungs-Sitzung ein. Juni: Die Abwahl von Laura Lazarus scheitert. Als Swen Ennullat sich weiter weigert, die umstrittenen Punkte auf die Tagesordnung zu setzen, springt der Landkreis ein und veröffentlicht die Tagesordnung selbst. Ennullat klagt dagegen, unterliegt aber. Am 18. Juni beschließt die SVV wegen der Querelen schließlich in einer Art Handstreich ein Dienstgeschäftsführungsverbot für Ennullat und schickt ihn in einen auf drei Monate angelegten Zwangsurlaub. Zugleich beschließen sie, dass ein Anwalt Ennullats dienstliches Handeln überprüfen soll. Rund 120 Anhänger des Bürgermeisters protestieren anschließend gegen die Beurlaubung. Juli: Ennullats Stellvertreterin Andrea Schulz kritisiert die SVV-Mehrheit öffentlich für die Beurlaubung des Bürgermeisters: „Sie stoßen die Verwaltung verantwortungslos und ungerechtfertigt in eine Krise, von der sich keiner so schnell erholen wird.“ Zahlreiche Petitionen werden gestartet, manche von Anhängern Ennullats, andere von Gegnern. August: Das Verwaltungsgericht Cottbus hebt die Beurlaubung Ennullats auf. Sie sei für die vorgeworfenen Dienstvergehen nicht angemessen und deshalb rechtswidrig. Ennullat kehrt zurück, der Streit geht weiter. September: Ennullat will eine siebente kommunale Grundschule gründen. Um Platz dafür zu schaffen, kündigt er den Mietvertrag der Montessori-Schule in Ziegenhals. SVV und Eltern reagieren entsetzt – zumal an den zu kleinen Grundschulen in Zernsdorf und Senzig trotz Beschlüssen der SVV seit Jahren nicht investiert wird. Es gibt viel Diskussionsbedarf. Der Bürgermeister will die SVV in der Dinter-Halle trotzdem wegen Corona nach zwei Stunden verlassen. Als die stellvertretende Vorsitzende Teresa Nordhaus in anweist, zu bleiben, zeigt er sie anschließend wegen versuchter Körperverletzung und Nötigung an. In der Sitzung werden auch Vorwürfe zu Grundstücksgeschäften laut. Der Bürgermeister soll versucht haben, einem Mitarbeiter günstig ein Grundstück zu verpachten. Oktober: Die SVV beschließt, dass Ennullat die Kündigung der Montessori-Schule zurücknehmen muss. Ennullat beanstandet den Beschluss wie viele davor auch. Es gibt erneut Streit um die Sitzungsdauer. Diesmal geht Ennullat nach zwei Stunden. November: Das Verwaltungsgericht Cottbus urteilt, dass der Bürgermeister den Haushalt für 2020 mit Kunstrasenplatz beim Landkreis einreichen muss. Der Bürgermeister sträubt sich weiter, will lieber einen neuen Haushalt für 2020 beschließen lassen. Die SVV will immer noch keinen neuen Haushalt. Auch der Haushaltsentwurf für 2021 fällt in fast allen Gremien durch, zu unterschiedlich sind die Auffassungen von Rathaus und SVV darüber, wie ein Haushalt aussehen und wie die Stadt gestaltet werden soll. Parallel kündigt die Kommunalaufsicht an, dass sie wegen Ennullats anhaltender Weigerung die anwaltliche Überprüfung des Bürgermeisters selbst veranlassen will. Vize-Bürgermeister René Klaus wird derweil zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Amtsgericht sieht es als erwiesen an, dass er Jörn Perlick in der „Bimbo“-Affäre verleumdet hat. Dezember: Der Landkreis eröffnet ein Disziplinarverfahren gegen Swen Ennullat. Kurz darauf verkündet die SVV-Mehrheit, dass sie ein Abwahlverfahren gegen Swen Ennullat starten will. SPD-Fraktionschef Ludwig Scheetz: „Wir sehen keinen anderen Ausweg mehr.“ Die Fraktionen FWKW, AfD und UBL/UFL zeigen sich schockiert. Gleiches gilt wenig später auch für die SVV-Mehrheit: Als der Landkreis die Stadt bittet, geeignete Räume anzubieten für den Fall, dass das Achenbach-Krankenhaus mehr Platz für Corona-Kranke braucht, schlägt Ennullat ausgerechnet die Dinter-Halle vor. Aber: Kurz vor Jahresende reicht er den Haushalt für 2020 noch beim Landkreis zur Genehmigung ein. Mit den 300.000 Euro. Zum 30. Dezember soll er in kraft treten. Von Oliver Fischer

Königs Wusterhausen: Streit um Swen Ennullat - der Rückblick 2020