100 jahre Rundfunk in Königs Wusterhausen: eine geschichtliche Einordnung

„Hallo, hier ist Königs Wusterhausen auf Welle 2700. Wir wollen Ihnen ein kleines bescheidenes Weihnachtskonzert senden.“ Diese Worte gingen am 22. Dezember 1920 per Langwelle um die halbe Welt. Reichspostbeamte der Hauptfunkstelle Königs Wusterhausen fanden sich vor 100 Jahren zusammen, um das erste Weihnachtskonzert für das Radio zu produzieren. Verfrühte musikalische Festtagsgrüße vom Funkerberg, auf dem die Wiege des deutschen Rundfunks stand. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten Soldatenräte eine Zeit lang den Militär-Sender auf dem Windmühlenberg besetzt. Am 29. September 1919 übergab die Heeresführung ihre Hauptfunkstelle der Deutschen Reichspost zur zivilen Nutzung. Nur wenige Wochen später warb Hans Bredow dafür, Rundfunksendungen für jedermann zu produzieren. Der Ministerialdirektor im Berliner Postministerium behauptete sich gegen alle Widerstände. Bereits im Frühjahr 1920 beauftragte er die Angestellten der Hauptfunkstelle damit, Versuche mit drahtloser Schallübertragung anzustellen. Eine zwingende Notwendigkeit, um den europäischen Telegrammverkehr wieder aufzubauen. Der erfolgte bis zu diesem Zeitpunkt nur über Kabel. Weil die sich in einem äußerst schlechten Zustand befanden, ruhten große Hoffnungen auf der drahtlosen Übertragung von Informationen. Vor allem Telegrafeninspektor Erich Schwarzkopf und sein Mechaniker Walter Mehle zeichneten für die ersten Sendungen verantwortlich. Gerät und Material waren dabei alles andere als ausgereift. Das beste Stück war noch ein Lorenz-Lichtbogensender mit etwa vier Kilowatt Antennenleistung. Zunächst wurde bei Schallplattenübertragungen mit den im Telefonverkehr üblichen Kohle-Mikrofonen experimentiert. Komfortables Studio kam erst später: Vermutlich musizierten die Postler zunächst in den ehemaligen Wasch- beziehungsweise Duschräumen des Hauses 1, bevor sie später ein „komfortableres“ Studio für ihre weltbekannten Original-Übertragungen in dem heutigen Sender- und Funktechnikmuseum einrichteten. Der Inhalt der Funkprogramme blieb einzig und allein dem Können und der Fantasie der Beamten überlassen. So entstand eine regelmäßige Folge drahtloser Wort-und Musikdarbietungen. Anfangs verlasen die Postler belanglose Texte aus alten Zeitungen. Bald ergänzten musikalische Einlagen die monotonen Zeitungstexte. Schallplatten dienten als Künstlerersatz. Eine Mundharmonika soll das erste original gespielte Instrument gewesen sein. Soli mit Geige, Cello, Klarinette oder Gesang folgten. Wobei die Qualität zunächst mehr oder minder einem ohrenfeindlichen Gekrächze geglichen haben muss. Darauf lässt ein Funkspruch aus Sarajevo schließen, den die Postler nach einem Konzert mit Geige, Harmonium und Chorgesang erhielten: „Ihr heutiges Telefonkonzert war ausgezeichnet. Ebenso der Gesangsvortrag Ihres Hahnes. Beglückwünsche Sie und Gruß.“ Lesen Sie auch 100 Jahre Rundfunk in Königs Wusterhausen: Am Anfang war die „Stille Nacht“ Von Beginn an bat man die Hörer um Rückmeldungen. Begeisterte Empfangsbestätigungen trafen sogar von Schiffen aus fernen Ländern ein. Und aus Deutschland? Hier war der Rundfunk offiziell verboten. Schwarzhörer riskierten hohe Strafen. Als Dank für die überaus große Resonanz wollten die Postbeamten ihrem europaweit lauschenden Publikum etwas ganz Besonderes bieten: eben jenes Weihnachtskonzert vor 100 Jahren. Technisch befähigt und musikalisch begabt, strahlten sie die vorfestliche Bescherung aus. Erich Schwarzkopf spielte die Geige, ein gewisser Studienrat Bause begleitete ihn auf dem Harmonium, und vier Postbeamte sangen dazu. Angespornt durch Tausende Zuschriften übertrugen die Postler fortan zu allen Festtagen Konzerte: Sogar die „Luxembourger Zeitung“ berichtete am 23. Dezember 1920 über das Weihnachtskonzert: „Es begann mit dem weihevollen Lied ‚Stille Nacht, heilige Nacht‘, dem dann einige andere Weihnachtslieder sowie der Einzugs- und Hochzeitsmarsch von Richard Wagner folgten… Als Zugabe wurde ‚Eine feste Burg ist unser Gott‘ mit viel Pathos gespielt.“ Angespornt durch Tausende Zuschriften übertrugen die Postler fortan zu allen Festtagen Konzerte. Oft spielten Hans Gerlach Cello und Telegrafeninspektor Erich Schwarzkopf Geige. Gerlach, ein ehemaliger Marineoffizier, war 1918 nach Königs Wusterhausen beordert worden. Er übernahm am 1. Februar 1921 die Leitung der Station. In dieser Funktion hielt er seinen Beamten den Rücken frei für ihre Rundfunkexperimente. Später nannte kein Geringerer als Gerlach Königs Wusterhausen die „Wiege des deutschen Rundfunks“. Erst am 29. Oktober 1923 führte die Deutsche Reichspost offiziell den Rundfunk für jedermann ein. Erstmals erklang in der Hauptstadt die Radio-Ansage: „Hier Sendestelle Berlin, Vox-Haus, Welle 400“. Diese Konzerte verhalfen der brandenburgischen Stadt mit den drei Funktürmen im Wappen zu Weltruf: Obwohl der Rundfunk damit auf die Mittelwelle wechselte, wurden die Sonntagskonzerte auf der Königs Wusterhausener Langwelle beibehalten. Diese Konzerte verhalfen der brandenburgischen Stadt mit den drei Funktürmen im Wappen zu Weltruf. An historischer Stelle wurde 1995 das Sender- und Funktechnikmuseum im Rahmen eines ABM-Projektes aus der Taufe gehoben. Mit Liebe zum Detail stellten fleißige Frauen und Männer auch jenes kleine Studio nach, aus dem die Postbeamten das erste Weihnachtskonzert übertragen hatten. ABM-Projektleiterin war Regia Nowotny. „Auf den Instrumenten in der nachgestellten Kulisse könnte man kein Weihnachtskonzert spielen“, so die stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins Sender Königs Wusterhausen. Das Cello stamme von Chemnitzer Freunden, die sie während ihres ersten Studiums kennengelernt habe. Eine Leihgabe aus der Hallenser Verwandtschaft sei die Geige. Die Klarinette ohne Mundstück konnte der Förderverein beisteuern. Nur das um die Wende vom 19. Zum 20. Jahrhundert gebaute Klavier stand im Funkamt, allerdings in viele Teile zerlegt. „Das hat sehr viel Mühe bereitet, es für die Ausstellung wieder ansehnlich herzurichten“, so die Gymnasiallehrerin. Die beiden samtbezogenen Stühle standen ganz versteckt im Recyclinghof des Arbeitslosenzentrums Königs Wusterhausen, bevor sie einen Ehrenplatz im Museum erhielten. Hintergrund detailgetreu nachzuempfinden war besonders schwierig: Besonders schwierig war es, den Hintergrund detailgetreu nachzuempfinden: ein vormals mit Militärschlafdecken ausgehangenes Halbrund, das half, den Schall zu dämpfen und Rückkopplungen auszuschließen. Sogar im Babelsberger Filmstudio-Fundus habe man nicht helfen können, erinnert sich Nowotny. Auch Nachfragen in Gestüten brachten nur Absagen. Selbst Pferdedecken werden heutzutage aus feinerem Material gewebt. „Schließlich konnte uns ein Spediteur mit groben Stoffbahnen aushelfen, aus denen dann Decken genäht wurden“. An einer Decke hängt ein Foto mit den Akteuren eines 1923 ausgestrahlten Konzertes. Eine Aufnahme der Rundfunk-Pioniertat vom 22. Dezember 1920 existiert nicht. Von Frank Pechhold