Ragow: In dem alten Bauerndorf haben viele neue Bewohner ein neues Zuhause gefunden. Darf man das als Ghetto bezeichnen?

Ist der neue Teil von Ragow ein Ghetto? Ortsvorsteherin Christiane Dürkop benutzte diesen Ausdruck während der jüngsten Sitzung des Mittenwalder Wirtschaftsausschusses. Das regt viele im Ort auf und lässt die Frage aufkommen, wie alte und neue Strukturen über die Jahre zusammen gewachsen sind. Einst ein Bauerndorf: Bis zur Wende war Ragow ein typisches Bauerndorf. Mit dem Fall der Mauer änderte sich das. Neue Wohngebiete entstanden. Gerade entstehen weitere Häuser in Richtung Brusendorf, das – genauso wie Ragow – heute zur Stadt Mittenwalde gehört. Knapp 2000 Menschen sind hier zu Hause. Rund zwei Drittel von ihnen haben in Ragow ein neues Zuhause gefunden. Entsetzen über das Wort: Eine von ihnen ist die Mittenwalder Bürgermeisterin Maja Buße (CDU). „Ich bin entsetzt über die Worte von Frau Dürkop“, sagt sie. Als Ortsvorsteherin sollte sie dafür einstehen, dass nicht nur Ragow, sondern Mittenwalde zusammen wächst. Sie müsse ein Vorbild sein und auf ihre Wortwahl achten. Buße fühle sich aber auch persönlich angegriffen und despektierlich behandelt, da sie in dem neuen Teil von Ragow wohne. Schiballa war platt: Ähnlich sieht es Michael Schiballa, der gar nicht weit weg von der Bürgermeisterin zu Hause ist. „Frau Dürkop hat zwei Drittel der Einwohner herabwürdigend bezeichnet“, sagt er. „Da war ich platt“, erklärt er. Denn seiner Meinung nach sei der Ort in den letzten Jahren gut zusammen gewachsen. Diesseits und jenseits der Gartenstraße: Das zeigt sich unter anderem bei den gemeinsam veranstalteten Festen, zu denen das Storchen- und Treckerfest zu zählen sind. In den Vereinen arbeiten Alteingesessene genauso mit wie neue Ragower. Die Paul-Gerhardt-Kirche befindet sich im Altdorf, aber zu den Konzerten und Gottesdiensten kommen die Leute sowohl von diesseits als auch jenseits der Gartenstraße. Die teilt das Dorf in den alten und den neuen Teil und ist auch im aktuellen Disput der Auslöser. Denn beim Wirtschaftsausschuss ging es darum, ob auf einem Grundstück der Kirche in der Gartenstraße weitere Häuser gebaut werden sollen. Christiane Dürkop (Pro Bürger) sei dagegen gewesen, während drei andere Mitglieder im Ortsbeirat dafür gestimmt hätten. „Es haben nur die drei aus dem Ghetto mit Ja gestimmt“, soll sie gesagt haben. Ortsvorsteherin tut es leid: „Ich habe es aber nicht so gemeint“, erklärt sie jetzt. „Es tut mir sehr leid, wenn meine Worte falsch angekommen sind“, betont die Politikerin. Sie habe nur gewollt, dass Ragow nicht noch weiter verdichtet wird und auch Raum gebraucht wird, wo sich die Leute treffen können. „Ich habe selbst Freunde im neuen Teil von Ragow“, so Dürkop. Es ging um Verdichtung: Auch Carola Müller (Linke) will den Ball eher flach halten. „Ich habe es so verstanden, dass es Frau Dürkop darum ging, nicht alle freien Flächen in Ragow zu bebauen“, unterstreicht sie. Es sei ja ein Dorf und man wolle da nicht die gleichen Bedingungen wie in einer Stadt schaffen. „Sie war sehr emotional“, so Müller. Längst durchmischt: Georg Sämisch ist im Wirtschaftsausschuss berufener Bürger aus Ragow. Auch er findet die Äußerung der Ortvorsteherin befremdlich. Wie Buße und Schiballa ist er im neuen Ragow zu Hause. Dennoch glaubt er, dass die Bezeichnung Ghetto nicht für das steht in Ragow, was Ghetto bedeutet – nämlich eine Absonderung von Bevölkerungsgruppen innerhalb eines Ortes. „Der Ort hat sich längst durchmischt“, weiß er. Von Andrea Müller

Ragow - Disput: Ghetto oder beliebte Adresse?