Trotz Corona: TH-Präsidentin gibt Semester nicht auf

Die Vorlesungen im Sommersemester 2020 an der Technischen Hochschule Wildau laufen jetzt digital, die Gebäude auf dem Campus sind verschlossen, nur wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dürfen noch vor Ort sein. TH-Präsidentin Ulrike Tippe arbeitet derzeit noch im Wildauer Büro, wird aber auch teilweise ins Homeoffice gehen. Wie sie und ihre Kollegen, die Mitarbeiter und vor allem die Studierenden die derzeitigen Herausforderungen meistern, erzählt sie im (Telefon-)Gespräch. Wie sieht es aktuell an der TH aus? Ulrike Tippe: Es sind nur ganz wenige Personen vor Ort; bei uns läuft ja jetzt – wie an allen Brandenburger Hochschulen – der so genannte Präsenznotbetrieb. Ich nehme keine persönlichen Termine mehr wahr. Wir arbeiten hier vor Ort personell extrem ausgedünnt und koordinieren unsere Präsenz innerhalb der Hochschulleitung in enger Absprache. Denn es muss auch jemand vor Ort sein, der beziehungsweise die unterschriftsberechtigt ist. Auch müssen wir dafür Sorge tragen, dass ein Minimalbetrieb funktioniert. Rechnungen müssen bezahlt, Zeugnisse erstellt werden. IT ist ein zentrales Thema, die Server-Kapazitäten müssen hochgefahren werden, damit die Online-Lehrveranstaltungen möglichst reibungsfrei durchgeführt werden können. Die Lehre findet seit dem Start des Vorlesungsbeginns am 16. März in digitaler Form statt. Wie muss ich mir das vorstellen? Wir zehren jetzt davon, dass wir seit Jahren eine konsequente Digitalstrategie – vor allem in Forschung und Lehre, aber auch in anderen Bereichen – gefahren haben. Seit 2008 nutzen wir bereits eine zentrale E-Learning-Plattform. Es handelt sich um ein Web-Portal – das Open-Source-Werkzeug „Moodle“ – , das sehr, sehr viele Hochschulen nutzen. Man kann dort virtuelle Räume einrichten für einzelne Lehrveranstaltungen. Angesichts der Corona-bedingten Situation haben wir uns das Ziel gesetzt, für jede Lehrveranstaltung im Sommersemester einen solchen Kursraum anzulegen. Viele Lehrende haben Moodle bereits in den vergangenen Jahren genutzt, aber eben noch nicht alle. Deswegen wurden in der ersten Woche auch viele neue Lernräume angelegt und ein E-Learning Support-Team gegründet. Dieses unterstützt insbesondere die Lehrenden, die sich mit Moodle noch nicht so gut auskennen.. Das Team des Zentrums für Qualitätsentwicklung, zu dem auch das Support-Team gehört, kümmert sich um das Thema E-Learning, und arbeitet dafür auch ganz eng mit dem Hochschulrechenzentrum zusammen. Und wie läuft es mittlerweile? Es ist ganz erstaunlich, wie gut es angelaufen ist, denn wir hatten ja wirklich nicht viel Zeit für die Vorbereitung. Die Vorlesungen sollten am Montag vor einer Woche starten und erst am Donnerstag davor war klar, dass es keinen Präsenzbetrieb geben würde. Die Studierenden bekommen nun über die Lernplattform Aufgaben zum Selbststudium. Viele Kolleginnen und Kollegen halten virtuelle Vorlesungen, die man sich ein bisschen so vorstellen kann wie Video-Sessions bei Youtube. Man kann Vorlesungen live durchführen, Präsentationen hochladen, auch Fragen beantworten und mittels Chat kommunizieren. So entsteht eine intensive Kommunikation mit den Studierenden, und alles, was möglich ist, versuchen wir auf diese Weise online umzusetzen. Und das klappt? Bei Lehrveranstaltungen mit großem Praxisanteil haben wir darum gebeten, die Theorie vorzuziehen. Ich hoffe ja immer noch, dass es möglich sein wird, einen Rest der Vorlesungszeit für die notwendigen praktischen Arbeiten nutzen können, denn nicht alles kann online vermittelt werden. In diesem Fall müssen wir uns auf die Lehrveranstaltungen konzentrieren, für die eine Präsenz vor Ort, zum Beispiel in den Laboren, erforderlich ist, und alles, was online gut funktioniert, wird weiter online durchgeführt. In diesem Fall „switchen“ wir also nicht sofort um, alles wieder als Präsenzlehre durchzuführen. Wie tauschen sich Lehrende und Studierende aus? Interaktion findet natürlich statt. Manche Studierende erstellen Projektarbeiten – die müssen sich jetzt ebenfalls virtuell organisieren. Man kann chatten und telefonieren sowie Videokonferenzen mit den Dozenten und Dozentinnen abhalten, beziehungsweise deren Konsultationsangebote nutzen. Wir geben das Semester nicht auf! Wie geht es mit den großen Forschungsprojekten an der Hochschule weiter? Wir mussten ja einen Pandemie-Plan erarbeiten. Dafür mussten wir identifizieren, in welchen Bereichen wie viele Menschen – die wir auch namentlich angeben müssen – mindestens erforderlich sind und in welcher Frequenz sie vor Ort sein müssen. Die Forschung soll damit ebenfalls in einer Art Minimalbetrieb aufrecht erhalten bleiben. Beim Aquaponik-Projekt müssen beispielsweise die Fische gefüttert werden, doch muss dafür keiner acht Stunden am Tag durchgehend anwesend sein. Wir haben alles sehr limitiert, lassen keine Gruppen in Labore, nur einzelne oder höchstens zwei Personen, und diese müssen dann weit genug auseinander arbeiten. An der TH wurde schon frühzeitig ein Krisenstab aufgebaut... Mein erster Arbeitstag nach dem Urlaub war am 9. März. Wie viele andere habe ich in den Tagen davor gespürt, dass etwas auf uns zurollt und unser Vorlesungsbeginn gefährdet sein könnte. Am 10. März haben wir im Präsidium beschlossen, einen Krisenstab zu bilden, um gemeinsam und schnell zu besprechen, wie verfahren werden muss. Jeden Tag gab es neue Informationen. Auf unserer Website sieht man die Chronologie. Wir haben alles in die Wege geleitet, damit wir am 16. März trotz allem zumindest virtuell mit den Vorlesungen starten konnten. Am vergangenen Mittwoch haben wir erfahren, dass es an der Hochschule den ersten nachgewiesenen Corona-Fall gibt. Das war für uns als Institution der „Worst Case“, der eintreten konnte, und es war klar: Wir müssen total runterfahren. Innerhalb von nur 14 Tagen ging es also von „Wir planen den (normalen) Vorlesungsstart“ über zu „Die TH Wildau schließt die Türen“. Wer gehört dem Krisenstab aktuell an? Neben mir als Präsidentin der Kanzler Thomas Lehne als Leiter der Verwaltung, die Dekanin und der Dekan unserer beiden Fachbereiche und Studierendenvertreter, beratend dabei sind außerdem unsere Betriebsärztin Frau Klüssendorf-Mediger und Professor Frohme als Vorsitzender des Senats. Auch benötigen wir regelmäßig die Expertise des Leiters des Hochschulrechenzentrums, Bernd Heimer, und ziehen ihn ebenfalls täglich hinzu. Immer um 9 Uhr treffen wir uns über ein Videokonferenzsystem. Jeden Tag bin ich außerdem über eine Telefonkonferenz mit dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur und den Präsidentinnen und Präsidenten aller Hochschulen im Land Brandenburg verbunden. Dort tauschen wir uns aus und stimmen uns möglichst weitgehend in unserem Tun ab. Wir werden im April auch unsere nächste Sitzung der Brandenburgischen Landesrektorenkonferenz als Videokonferenz organisieren. Größere Veranstaltungen wurden landesweit untersagt, als gerade die jährliche Wildauer Wissenschaftswoche mit Fachtagungen und Vortragsreihen lief. Wir mussten die Wissenschaftswoche mittendrin abbrechen. Es haben aber alle sehr verständnisvoll reagiert. Wie haben Sie denn die ganzen Studierenden erreicht, einige der Studenten aus aller Welt waren oder sind ja vielleicht sogar noch in ihren Heimatländern? Es standen vor dem Vorlesungsbeginn noch Nachprüfungstermine an, insofern waren viele der internationalen Studierenden schon da. Wir mussten auch abfragen, wer eventuell aus Risikogebieten kommt. Wichtig war, dass alle Mitglieder der Hochschule schnell verstehen, über welche Kanäle wir die offiziellen Nachrichten versenden. Dass alle relevanten Informationen über die Krisenstab-Mailadresse verschickt werden und diese auf unserer eigens eingerichteten „Corona“-Webseite auch auf Englisch gepostet werden, haben wir versucht, sehr deutlich zu kommunizieren, und mittlerweile funktioniert das wirklich gut. Über die Hochschul-App „Unidos“ wurde ebenfalls ein Kanal „Krisenstab“ eingerichtet, der stets auf Änderungen auf der Webseite hinweist. Der für den 16. Mai geplante Hochschulinformationstag ist nun auch abgesagt. Soll der stattdessen später stattfinden? Wir mussten das jetzt absagen, denn für die Organisation benötigt man hinreichend Vorlauf, und wir planen auch keine Verschiebung. Es ist auch offen, wann das Abitur stattfinden wird, und ein großer Teil unserer Studienanfänger besteht aus Abiturientinnen und Abiturienten des jeweiligen Jahres. Wir versuchen nun, unseren Webauftritt entsprechend aufzubereiten sowie spezielle Online-Kampagnen oder ähnliches durchzuführen. Was ist Ihnen als Hochschulpräsidentin gerade besonders wichtig? Das Wichtigste ist für mich, dass unsere Studierenden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie ihre Familien gesund bleiben. Das Zweitwichtigste für mich als Präsidentin ist, dass wir das Semester bestmöglich durchführen können. Was mich wirklich beeindruckt, denn die Situation ja für alle einschneidend und extrem herausfordernd: Mit welchem Engagement sich alle – Studierende, Lehrende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – einbringen, mit welcher Flexibilität sie sich auf die neuen Umstände einstellen und bereit sind, die Prioritäten zu verschieben und eng zusammenzuarbeiten. Ich spüre, dass wir alle an einem Strang ziehen, und das ist eine ganz tolle Erfahrung. Dieser wunderbare Zusammenhalt treibt uns an, und ich möchte mich dafür bei allen von Herzen bedanken. Von Karen Grunow

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