Zur jüngsten Familienfeier hatte mein Vater den Kuchen gekauft. Er brachte allerlei Sahnesachen an – und eine Kekstorte. Das ist so ein braun-weiß gestreiftes Kalorienmonster, das im Volksmund Kalter Hund heißt. Ich hatte meine Zweifel, ob so ein altmodischer Kuchen noch seine Abnehmer findet. Und ich lag völlig daneben. Alle, wirklich alle, riefen: „Oh, Kalter Hund, habe ich ja ewig nicht gegessen.“ Kein Kekskrümel blieb von ihm übrig. Mein Vater erntete viel Lob für seine Kuchenkaufkünste. Und vielleicht schwang in diesem Lob eine selige Erinnerung mit. Früher fehlte so ein Kalter Hund bei keinem Kindergeburtstag. Wir saßen also an der Kaffeetafel und schwärmten aus unserem Gedächtnis Lieblingsgerichte vergangener Tage hervor. Waldmeisterbrause, Zuckerei, Omas Eiersalat, Wurstsuppe. Jede Generation hatte einen anderen Liebling. Es waren alles keine gigantisch aufwendigen, vornehmen Gerichte à la Muscheln an Brokkolischaum auf Pastinakenjus oder Spatzenschenkel im Safransud mit Pistou-Ravioli. Nö, wir hatten Arme Ritter und Kalten Hund.
Von Marlies Schnaibel
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