Brieselang: Schauspielerin packt jetzt wegen Corona Pakete bei Amazon

Anfang 2020 war für Lena Noske die Welt noch in Ordnung. Sie wusste ziemlich genau, was sie in diesem Jahr alles machen wird. So begann im März ein Stück im „Theater im Palais“ in Erfurt, in dem die freiberufliche Schauspielerin mitwirken wollte. Im Mai wäre es in Trier mit dem Musical „Memphis“ losgegangen. Doch dann kam wegen Corona der Lockdown und alles war plötzlich anders. „Wir hatten im März noch die Premiere für „Was Frauen wirklich wollen“ in Erfurt gespielt. Schon vor der Aufführung riefen uns viele Leute an und fragten, ob es wirklich stattfindet“, berichtet die 29-Jährige. „Am nächsten Tag sollte es weiter gehen. Doch dann bekamen wir kurz nach dem Mittag die Information von der Stadt, dass alles abgesagt ist.“ Froh darüber, dass sie die Arbeit hat: Jetzt ist die Schauspielerin im Amazon-Versandzentrum in Brieselang tätig, scannt Waren und verpackt sie. Oder sie fährt mit einem Wagen durch die riesigen Lagerhallen und sammelt Artikel ein, die die Kunden bestellt haben. Oder aber sie sortiert Artikel in Fächer ein. Tätigkeiten, die nicht unbedingt ihr Traum sind. Aber jetzt ist sie froh, dass sie diese Arbeit hat. Ebenso wie Lena Noske haben auch andere Mitarbeiter artfremder Berufe wegen Corona bei Amazon angefangen. Viele von denen, die sofort mit Beginn des Lockdowns kamen –wie etwa Beschäftigte aus der Gastronomie –, sind mittlerweile wieder in ihre Jobs zurückgekehrt. Zu den wegen Corona ergriffenen Hygienemaßnahmen in Brieselang gehört unter anderem das automatische Fiebermessen per Infrarot und die Bereitstellung von Desinfektionsmitteln. Zudem achten spezielle Mitarbeiter darauf, dass die Beschäftigten die Abstände einhalten. „Ich hatte extreme Existenzangst“, sagte sie. Und sie überlegte deshalb, was sie machen kann. „Viele Freischaffende sind damals in Hartz IV gegangen, das hätte ich auch tun können. Aber ich muss arbeiten, sonst werde ich verrückt“, meinte sie. In der Corona-Hoch-Zeit habe es im Wesentlichen nur die Bereiche Lebensmittel, Industrie und Versandhäuser gegeben. Viele Bewerbungen schickte sie ab. „Selbst Spargelstechen wollte ich, wurde aber abgelehnt.“ Eine schwere Zeit: Eine schwere Zeit für die Schauspielerin, die seit 2014 in Berlin lebt, jedoch aus der Wetterau bei Frankfurt am Main stammt. „Ich hatte mächtig daran zu knabbern, musste mein Ego herunter schlucken. Es flossen damals auch Tränen. Aber ich wusste ja, dass es allen Freischaffenden so ging“, erinnert sie sich. Diese Erkenntnis half ihr, die Situation zu bewältigen. Letztlich klappte es mit der Bewerbung bei Amazon in Brieselang. „Als ich am ersten Tag kam, waren alle sehr nett gewesen. Und die Kollegen sind wirklich super“, ist ihre Erfahrung seither. Alles fing mit einem Corona-Test an, und schnell wurde sie mit dem Begriff der chaotischen Lagerführung konfrontiert. „Ich bin ein ordnungsliebender Mensch. Da dachte ich mir, wie kann das Sinn ergeben.“ Doch dahinter ist System, erfuhr sie. Jeder Platz in den Fächern wird so sinnvoll genutzt. „Angesichts so vieler Regale wird einem schon schwindlig. Aber es ist interessant zu sehen, wie so ein Riesenkonzern funktioniert.“ Viel abgenommen: Doch Lena Noske musste auch feststellen, wie körperlich anstrengend der neue Job ist. Wie viele Neuankömmlinge nahm sie ab. Denn 15 Kilometer am Tag laufen ist keine Seltenheit, am Abend ist sie fix und fertig. Zwar handle es sich im Vergleich zu ihrer Schauspieltätigkeit um eine recht monotone Arbeit, doch „man muss sich trotzdem sehr stark konzentrieren“. Zudem fehlt ihr ein wenig die Interaktion mit den Kollegen, „und bei Corona ist man noch mehr auf Abstand. Da kann man nur mal kurz schnacken“. Die Existenzangst ist für Lena Noske aber nicht vom Tisch, sie fürchtet sich vor einer zweiten Corona-Welle. Ihr Arbeitsvertrag läuft erst einmal bis 31. Dezember. Nun hofft sie allerdings, dass sie demnächst zumindest teilweise wieder in ihren alten Beruf zurückkehren kann. Bei Amazon hat sie dazu auf Teilzeit umgestellt, um zwischen den Arbeitstagen für ihre Rollen am Theater lernen zu können. Eine pikante Ware: „Es läuft langsam wieder an.“ Anfang August soll es in Erfurt mit dem abgebrochenen Theaterstück weitergehen, vornehmlich am Wochenende. Auch mit dem Kindertheater „Das tapfere Schneiderlein“, bei dem sie die Prinzessin, den Riesen und das Schwein spielt. Und möglicherweise klappt es im Herbst auch mit einer Regieassistenz in Berlin. „Memphis“ wird aber wohl erst im Frühjahr 2021 beginnen. Demnächst soll die Schauspielerin bei Amazon in einen anderen Bereich wechseln. Dann führt sie Telefoninterviews mit Bewerbern und begleitet diese bis zur Vertragsunterzeichnung. Vorerst aber wird sie weiter Pakete packen. „An den ersten Artikel, den ich gescannt und verpackt habe, kann ich mich noch gut erinnern. Es war ein Sexspielzeug“, sagt sie schmunzelnd. Es sollte nicht der einzige Artikel dieser Art bleiben. Von Andreas Kaatz