Wenn Silke Boll ausrastet, geschieht das auf fast freundliche Weise. Aber man merkt ihr ihren Ärger an, etwa über Formulierungen wie „Sie ist an den Rollstuhl gefesselt.“ Das sind doch fürchterliche Klischees, auf die man nur sagen kann: „Wenn Sie einen Menschen sehen, der an den Rollstuhl gefesselt ist, binden Sie ihn los.“ Sie wollen kein Drama, kein Mitleid. Sie wollen Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Alltag, Normalität. Und da gehören Menschen mit Behinderungen dazu.
Arbeit ist sinnvoll und macht Spaß
Für diesen Alltag setzt sich der Falkenseer Beirat für Teilhabe von Menschen mit Behinderung ein. In diesem Jahr wird ein neuer Beirat gewählt, Anfang Juni wird es dafür eine Nominierungsveranstaltung geben. „Die Arbeit ist sinnvoll und macht Spaß“, sagt Silke Boll, die Vorsitzende des Beirates. Aber: „Unsere Arbeit leidet daran, dass nicht genug Leute mitmachen.“
Berührungsängste abbauen
Vielleicht haben einige eine falsche Vorstellung von dem, was in dem Beirat passiert. Haben Angst, es ginge nur um Behinderungen, Krankheiten, Schmerz, Trauer. Wer jemals in dem Beirat war, weiß, dass dort ein ganz anderes Klima herrscht. „Wir wollen was bewegen und haben was bewegt“, sagt Angelika Falkner-Musial. Sie ist die 2. Vorsitzende des Beirates und sehbehindert. Silke Boll sitzt im Rollstuhl.
Nicht nur für Rollstuhlfahrer
„Es gibt so viele Arten von Beeinträchtigungen“, sagt Manuela Dörnenburg, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Falkensee. Die Stadt zählt mehr als 4500 als schwerbehindert anerkannte Menschen. „Wir wollen nicht die barrierefreie Stadt, wir wollen eine bedarfsgerechte Stadt“, sagt Silke Boll und erklärt, was sie damit meint: Ein Fahrstuhl ist eben nicht nur für Rollstuhlfahrer wichtig und hilfreich, sondern auch für alte Leute, denen Treppensteigen schwerfällt, für Menschen mit Kinderwagen oder Rollator.
Kant-Schule war Auslöser
Und eigentlich war es auch ein Fahrstuhl, der die Sache mit dem Falkenseer Teilhabe-Beirat vor Jahren ins Rollen gebracht hat. Damals ging es darum, an der Kant-Schule einen Fahrstuhl zu bauen, um die Schule barrierefrei zu gestalten. „Das ist ja nur für einen Gebäudeteil gelungen“, sagt Silke Boll. Für sie ein Skandal: In Falkensee existiert keine barrierefreie Grundschule, obwohl es fünf Pilotschulen für Inklusion gibt.
Skepsis ist gewichen
Licht und Schatten liegen bei der Arbeit des Beirates eng beieinander. Die Vertreter sitzen in allen Ausschüssen, haben Mitspracherecht, sind in viele Projekte mit einbezogen. „Da ist ein Erdrutsch passiert im politischen Raum, da sind wir inzwischen anerkannt und angenommen. Wir werden gehört und beachtet“, sagt Silke Boll. Von anfänglicher Skepsis oder Ablehnung ist nichts mehr zu spüren. „Man muss sich kennenlernen, dann sind die inneren Hürden weg“, sagt sie.
So sind Vertreter des Beirates dabei in der Steuerungsgruppe zur Inklusionskita und zum Schwimmbad. Viele, oft kleine Dinge haben sich im Stadtbild geändert. So werden zunehmend Veranstaltungen mit Gebärdendolmetscher angeboten, so haben Kreuzungen und Bushaltestellen die weißen Kontraststreifen erhalten.
Böses Kopfsteinpflaster
Wie schwierig das Thema mitunter ist, zeigen die beiden Frauen aus dem Beirat selbst: Die gehbehinderte Silke Boll setzt sich für abgesenkte Bordsteine ein, die sehbehinderte Angelika Falkner-Musial will genau das nicht. Trotzdem eint sie viel: Sie wollen mit anderen behinderten und nichtbehinderten Mitmenschen die Stadt barrierefreier machen.
Das fängt bei Kleinigkeiten an („Warum müssen die Behindertenparkplätze an der Stadthalle mit Kopfsteinpflaster ausgestattet sein?“) und reicht bis zu großen Baumaßnahmen, etwa für bezahlbare barrierefreie Wohnungen. Dass das einhundertjährige Rathaus von Falkensee endlich einen Aufzug erhält, zählt dabei zu den zäh errungenen Erfolgen.
Von Marlies Schnaibel