Nauen: Wo die Rotschopf-Mädels tanzen und im Dudelkiez die Fische springen

Die Laterne links, die Hieb- und Stichwaffe Hellebarde rechts in der Hand – so machten sich Nauens Nachtwächter seit Jahrhunderten auf den Weg. Bei der Tour durch die Gässchen mit den Ackerbürgerhöfen hinter Fachwerkhäusern klappert ihr Schlüsselbund. So mag es anno dunnemals in Nauens Altstadt gewesen sein. Heute tourt im Nachtwächteroutfit Wolfgang Wiech (69) durch die Stadt, wenn er Führungen für Touris oder zu feierlichen Anlässen macht. In der Corona-Pause zog die MAZ mit Maske mit ihm um die Häuser. Seit 20 Jahren macht der Rentner schon den Nachtwächter. „Es hat sich so ergeben“, sagt der Ex-Polizist. Zu DDR-Zeiten hätte er den Touris seine Stadt nicht so gerne gezeigt. „Damals war viel marode. Aber die letzten Jahre hat sich die Stadt gemausert“, sagt Wolfgang Wiech. Weil Nauen eine Stadt mit Charme ist, wurden hier schon viele Filme gedreht wie „Solo Sunny“ mit Renate Krößner oder „Zille und ick“ u. a. mit Marianne Wünscher. In der Goethestraße 43/44 war Harald Juhnke im Film „Der Trinker“ zu Hause. Die Goethestraße hieß einst Potsdamer Straße, ist zu erfahren. In der Nummer 35 wohnte einst Bauer Hübner. Sein Knecht und die Magd sollen auf dem Heuboden heiß gekuschelt haben. So heiß, dass 1695 das Haus lichterloh abbrannte und die Stadt Nauen gleich mit. Damals ist Nauen auch Garnison für die Brandenburgische Schlachtenkavallerie der Dragoner. Auf dem Grundstück der Goethestraße 52 hat einst um 1732 Kronprinz Friedrich gewohnt (später König Friedrich der II.) und vielleicht hat er dort auch mit der Pfarrerstochter heiß gekuschelt, in die er verliebt gewesen sein soll. Gleich gegenüber steht das 1889 erbaute Pfarrershaus und die in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts erbaute evangelische St.- Jabobi-Kirche. Die Mädchenschule gegenüber war 1895 abgerissen worden. Neu an gleicher Stelle erbaut, drücken heute dort die Kids der Käthe-Kollwitz-Schule die Schulbank. Der Kirchplatz sei ein echtes Highlight. Früher als Begräbnisplatz genutzt und später umgebaut, wird dort der Weihnachtsmarkt aufgebaut. Corona bedingt fällt der 2020 auch in Nauen aus. „Schauen Sie mal hier“, sagt Wolfgang Wiech und zeigt auf einen von vielen Gullydeckeln, als wir durch die Mauerstraße schlendern. Überall ist ein Fisch drauf, der auch Nauens Wappen ziert. „Der Fisch als christliches Symbol sollte Neuankömmlingen Geborgenheit in der Stadt geben, die 1292 ihr Stadtrecht bekam und 1186 erstmals urkundlich erwähnt wurde“, sagt Wolfgang Wiech. „Und wissen Sie, was man über die Mauerstraße noch sagt? „Früher war das hier das Arme-Leute-Viertel, in dem auch Nachtwächter und Hirten wohnten. „Weil die Hirten mit Flötentönen ihre Schafe und Ziegen zusammentrommelten, nannte man die Gegend früher Dudel-Kiez. Denn Tag und Nacht war das Gedudel der Hirten zu hören.“ Touris glaubten anno dunnemals übrigens, dass die Nauener Frauen alle rothaarig sind. Denn immer wenn um 1915 die Züge auf der Dammstraße vor der damaligen Schranke hielten, tanzten die Mädchen des Schrankenwärters ausgelassen – sie waren rothaarig. Unsere Nauen-Rundtour endet an der Goethe-/Ecke Mauerstraße am Wasserturm auf dem Berg. Der Turm musste so hoch liegen, damit das angestaute Wasser zu den Nauener Entnahmestellen hinab fließen konnte. „Seit den 80er-Jahren ist der Wasserturm nicht mehr in Betrieb. 2000 wurde er verkauft, der Turmkopf abgenommen und der Riesen-Wasserkessel ausgebaut. Heute wohnen im aufgesetzten Dreigeschosser Leute“, sagt Wolfgang Wiech. Eine Frage muss der „Nachwächter“ den Touris aber immer beantworten – wie Nauen 1906 zu dem Zusatznamen Funkstadt kam. „In Nauen wird die älteste noch bestehende Sendeanlage der Welt betrieben. Die 70 und 80,5 Meter hohen Sendeantennen wurden 1964 und 1997 fertiggestellt. Bis 2011 war hier das Programm der Deutschen Welle über Kurzwelle ausgestrahlt worden“, sagt Wiech. Der Nauener Nachtwächter hat jetzt erstmal Sendepause – mal sehen, wann er die nächsten Touris wieder durch Nauen führen darf. Von Jeannette Hix