Birnengarten in Ribbeck

Es funktioniert. Die Wahlberlinerin Barbara Stutenbäumer konnte nicht widerstehen. Sie hat sich eine „Gute Graue“ von dem kleinen Bäumchen gerupft. Das kommt aus Nordrhein-Westfalen, wo Barbara Stutenbäumer geboren ist. „Mmh, ist noch sehr sauer“, meint sie kauend. „Aber kein bisschen pelzig.“ Ja, man hätte jetzt, Anfang August, besser noch sechs Wochen gewartet. Aber diese zarten roséfarbenen Bäckchen der Birnensorte hätten ihr sofort gefallen. Da habe sie halt zugegriffen. Und der fruchtig-frische Geschmack sei schon jetzt sehr aufregend. Es ist kein Vergehen, wenn sich die zahlreichen Touristen im „Deutschen Birnengarten“ jeden Sommer und Herbst an den sechzehn noch sehr jungen Bäumchen vor Schloss Ribbeck (Havelland) bedienen. Schließlich soll der ab 2008 angelegte Garten an die Freigebigkeit des Herrn „von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ erinnern. Der sagte dem berühmten Gedicht von Theodor Fontane zufolge ja auch zu jedem vorbeilaufenden Schulkind „Wiste ’ne Beer? “ – Willst Du eine Birne? Ideengeber: der Journalist Werner Bader: Und tatsächlich: Ein Nachfahre jenes legendären Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland hatte höchstselbst noch mit Hand angelegt, als der 2008 begonnene Deutsche Birnengarten am 26. November 2009 endlich komplettiert wurde. Auf einem Foto sieht man Friedrich-Carl von Ribbeck mit einer Schaufel in der Hand. Zusammen mit dem Kreistagsvorsitzenden Jürgen Bigalke sowie dem damaligen Landrat des Havellandes, Burkhard Schröder, und schließlich dem Journalisten Werner Bader, dem Ideengeber des Projekts, setzte er den Baum aus Rheinland-Pfalz in den märkischen Boden. Auch der Überbringer des Obstbaumes, der Ständige Vertreter des Bevollmächtigten beim Bund des Landes Rheinland-Pfalz, Hans-Ulrich Bieler, half mit. Eine „Frühe von Trevoux“ hatte das westliche Bundesland den Brandenburgern serviert. Zuvor war noch eine „Pastorenbirne“ aus Bremen gepflanzt worden. „Starke Symbolkraft“: „Die Idee, nahe dem landherrlichen Schloss mit den 16 Bundesländern etwas auf die Beine zu stellen, hatte starke Symbolkraft“, findet Landrat a. D., Burkhard Schröder, noch heute. Schließlich kenne man im gesamten Deutschland das berühmte Ribbeck-Gedicht. Deshalb habe sich sein Amt damals auch gleich dafür eingesetzt, die Idee des ins Havelland gezogenen ehemaligen Deutsche-Welle-Leiters Werner Bader umzusetzen. Trotzdem war es eine große Herausforderung, wie Schröder berichtet. Berlin hatte sich geziert: „So einfach war es nicht, alle Bundesländer zu gewinnen“, sagt Schröder. Während natürlich Brandenburg selbst nicht zögern konnte und zum Beispiel auch Bayern gleich Feuer und Flamme war, zierten sich ausgerechnet Berlin und Schleswig-Holstein zunächst ein wenig. Oft hing es einfach auch nur davon ab, welcher Beamte Schröders schriftliche Anfrage zunächst in die Hände bekam. Jedenfalls war es der anfänglichen Unsicherheit zu verdanken, dass sich der Aufbau des Gartens fast ein Jahr lang hinzog. Den Anfang gemacht hatte der damalige Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) am 20. September 2008. Museum, Musik und mehr: Nun säumen 16 Birnenbäumchen mit jeweils einer anderen Sorte Birnen den Hof der Schlossanlage Ribbeck. Manchmal wurden sie tatsächlich aus dem Bundesland selbst eingeführt, manchmal einfach in der Umgebung bestellt. Das Schloss selbst ist seit seiner Renovierung Veranstaltungsort, Fontanemuseum und Gastronomiebetrieb und dank vieler Skulpturen im Garten ein Gesamtkunstwerk. Die Bäumchen passen da hervorragend ins Konzept. Noch immer sind sie sehr klein, tragen aber zur Freude der Touristen jedes Jahr fleißig Früchte, wie der Gesellschafter der Schlossanlage, der Konzertpianist und Geschäftsführer der Havelländischen Musikfestspiele, Frank Wasser, weiß. „Die Birnen bringen die Menschen zusammen“, sagt Wasser, der im Schloss Musikveranstaltungen betreibt. Besucher aus ganz Deutschland stünden immer vor den Bäumchen zusammen und unterhielten sich über die Birnensorten ihrer jeweiligen Länder. „Sie tauschen ihre Erinnerungen über ihre Vergangenheit aus.“ Obwohl im rheinland-pfälzischen Trier gebürtig, nennt Wasser natürlich die von Brandenburg gestiftete „Clapps Liebling“ als seinen Favoriten. Auch Romana Kanzler schwärmt von dieser Sorte. Sie betreibt im Schloss den Shop und macht Führungen – auch zum historischen Dorfkern. Fontane lockt nach Ribbeck: „Hauptsächlich kommen die Leute wegen des Gedichts hierher“, sagt sie. Manche, die zum ersten Mal an der Autobahn das Schild „Schloss Ribbeck“ sehen, seien erstaunt, dass es den Ort wirklich gäbe. „Erst mal wollen dann alle wissen: Wo steht denn der berühmte Birnbaum?“, erzählt Kanzler. Sie müssen dann etwas enttäuscht feststellen, dass von dem 1911 von einem Sturm erschlagenen Baum nur noch ein Stumpf in der Dorfkirche existiert. Aber immerhin gibt es an der alten Stelle direkt an der Kirche einen neuen, wieder recht großen Birnbaum. Nur eine fehlt: „Williams Christ“: Zurück im Schlossgarten fragt Kanzler ihre Reisegruppen dann, welche Birne denn wohl ihr Bundesland spendiert habe. „Williams Christ“, schallt es ihr dann mit schöner Regelmäßigkeit entgegen. „Die hat aber kein Bundesland bekommen, damit es keinen Streit gibt“, sagt Kanzler. Über die wahren Sorten, sind sie dann schon sehr erstaunt. Ob Julibirne aus Schleswig-Holstein oder die Alexander Lucus aus Sachsen-Anhalt – mit den wahren Sorten haben die zahlreichen Gruppen nicht gerechnet. Besonders lustig findet Kanzler selbst die „Winterforelle“ aus Thüringen. Die schmecke nicht nach Fisch, versichert Kanzler ihren Besuchern gerne, die schmecke nach Birne. Dieses Jahr wird es beim Thüringer Baum aber wohl nach gar nichts schmecken. Das Bäumchen ist völlig vertrocknet und wird wohl demnächst ausgetauscht werden müssen. Auch diese Erfahrung ist im Deutschen Birnengarten nicht ganz neu. Schon einmal wurde nach einer Veranstaltung ein Jungbäumchen beim Abbau quasi von einem Gerüst erschlagen und ersetzt. Auch das „Stuttgarter Geißhirtle“ aus Baden-Württemberg, das zwar viele Früchte trägt, ist diesen Sommer oben an der Spitze etwas welk. Birnengarten und Umgebung: ein Gesamtkunstwerk: Alles in allem aber sieht Schlossbetreiber Frank Wasser das Konzept des Deutschen Birnengartens aber vollkommen aufgegangen. Zusammen mit dem Schloss, der Alten Schule, der Dorfkirche und der Brennerei bilde er ein Gesamtkunstwerk. Das sieht auch Landrat Burkhard Schröder so. „Es ist ein tolles prächtiges Symbol für das neue Zusammenwachsen Deutschlands“, sagt er. Nur dürften mehr Schulklassen zu Besuch kommen. Viele Jugendliche wüssten ja gar nichts mehr von Theodor Fontane und dem alten Herrn Ribbeck. Und noch ein Birnengarten: Dessen Birnenbaum bei der Kirche ist heute keineswegs das einzige Kernobst in dem Dorf. Nicht nur der Deutsche Birnengarten trägt es in Massen, hinter der alten Brennerei ganz in der Nähe hat der Berliner Nahrungsmittel-Unternehmers Rafael Kugel im April 2018 einen wild anmutenden Birnengarten eröffnet, der internationale Birnensorten beherbergt. Den sieht Frank Wasser keineswegs als Konkurrenz sondern als Teil des Gesamtkunstwerkes Ribbeck, das man mit einigem Recht als das „Deutsche Birnendorf“ bezeichnen könnte. Von Rüdiger Braun