In Semlin bekommt jedes Kind im Dorf einen eigenen Baum

Ein Haus bauen, einen Baum pflanzen und ein Kind zeugen. Diesen bekannten Brauch setzt der Rathenower Ortsteil Semlin jetzt mit seinem Projekt „Zukunftsbäume“ von kommunaler Seite – zumindest teilweise – in die Tat um. Die Statistik: Derzeit bauen junge Semliner und Rathenower Familien in der Ferchesarer Straße und in der Erdlaake neue Einfamilienhäuser – Semlin wächst. Auch Kinder werden im Ort geboren, wie die Statistik zeigt. Von den 554 Einwohnern sind etwa 80 im Alter bis 18 Jahre. Jetzt wurde am Ortseingang, auf einer knapp ein Hektar großen Wiese, die der Stadt Rathenow gehört, für jeden jungen Semliner ein Obstbäumchen gepflanzt – zunächst 30 Stück. „Wir suchten nach einer Idee, die Identifikation, gerade der jungen Semliner, mit ihrem Heimatort zu stärken. So griffen wir im Ortsbeirat den Brauch, Neugeborenen einen Baum zu pflanzen, auf.“ Das berichtet der Semliner Ortsvorsteher Heiko Blankenburg. „30 Jahre nach der deutschen Einheit pflanzen wir für jeden im Ort geborenen oder aufgewachsenen Semliner einen eigenen Baum. Er wächst mit den jungen Semlinern mit. Und zur Erntezeit können die einzelnen Baumpaten die Früchte ihres Baumes ernten.“ Als Partner gewann der Ort den Nabu-Regionalverband Westhavelland. Dieser betreut seit 1990 die im Naturpark des westlichen Havellands verbliebenen Streuobstwiesen und setzt sich für Neuanpflanzungen ein. So die Ersatzpflanzung der Deutschen Bahn in Rathenow-West 1999 mit heute rund 140 Bäumen. Seit 2009 bewirtschaftet der Regionalverband die Streuobstwiese der früheren Gärtnerei Kelb in Milow. Blick zurück: René Riep vom Nabu Westhavelland weiß mehr: „Anhand Luftbilder des Jahres 1991 konnten in sechs Amtsgemeinden des Naturparks Westhavelland zirka 200 Anhaltspunkte für Streuobstwiesen oder Hausgärten mit Hochstammbäumen gefunden werden. Deren Nutzung war weit verbreitet und prägte das Bild unserer Kulturlandschaft mit. Zudem stellen Streuobstbestände einen wichtigen Lebensraum für zahlreiche Tier-. und Pflanzenarten dar. So soll die Fläche, auch mit Beweidung, unter dem Aspekt als Wiese für blühende Wildarten genutzt werden.“ Obstbäume haben Tradition: René Riep ist Regionalverbands-Geschäftsführer und Semliner. „Viele nicht mehr genutzte Bestände sind überaltert oder existieren nicht mehr. Derzeit gibt es noch 43 Obstwiesen, davon 15 neu angepflanzte. Auch der beidseitige Alleebaumbestand an der Kreisstraße aus Richtung Rathenow erlosch im Jahr 2015. Von der Obstbaumallee Richtung Hohennauen stehen derzeit nur noch zehn Bäume.“ Nun setzte die Rathenower Baumschule Schepler 30 fünf Jahre alte hochstämmige Apfel-, Birnen-, Süßkirschen- und Zwetschgen-Bäume. „Ausgesucht wurden alte, für Brandenburg typische Sorten, die wir selbst gezogen und veredelt haben, um deren Erhalt zu fördern. Zehn weitere Bäume können auf dieser Fläche noch nachgepflanzt werden“, sagt Ulf Schepler, Schwiegersohn des Gründers der traditionsreichen Rathenower Baumschule Klaus Schepler. „Unsere Baumschule übernimmt für die ersten vier Jahre den Pflegeschnitt und wird weitere Bäume pflanzen.“ Auch der Nabu-Regionalverband und der Gemeindearbeiter werden in die Pflege der Streuobstwiese einbezogen. So stehen auf der Wiese Bäume mit wohlklingenden Namen wie Cox Orange, James Grieve und Goldparmäne als wohlschmeckende Äpfel, die Gute Luise und Jägerbirne sowie Büttner Rote Knorpelkirsche oder die Hauszwetschge. Infotafel wird aufgestellt: Eine Infotafel wird künftig Einwohner und Besucher informieren. Ein Bäumchen kostet 40 Euro. Die Projektkosten für insgesamt 60 Bäume, sowie deren Pflege für die ersten vier Jahre in Höhe von knapp 10.000 Euro werden vom Landkreis Havelland gefördert. Auch die, bis vor wenigen Tagen, jüngste Semlinerin, die am 6. März geborene Hannah Rausch, besuchte mit ihrer Mama während eines Spaziergangs im Ort die Zukunftsbaum-Wiese. „Ich hatte noch nicht davon gehört, finde die Idee aber toll“, so Lorette Weidel, die vor vier Jahren aus Rathenow zu ihrem Freund nach Semlin zog. „Mit diesem Projekt investieren wir also in mehrfacher Hinsicht in die Zukunft“, so Ortsvorsteher Blankenburg. Nun können einige Bäume für künftig in Semlin Geborene und seit 1990 im Ort aufgewachsene Seminer nachgepflanzt werden. Von Uwe Hoffmann