Ohne Seiteneinsteiger geht es auch an Rathenows Schulen nicht

Ein Wechsel von der freien Wirtschaft in den Lehrerberuf ist längst keine Seltenheit mehr. Weil es in Brandenburg an ausgebildeten Lehrkräften mangelt, stehen immer häufiger studierte Physiker, Biologen oder Wirtschaftswissenschaftler vor einer Klasse. Das gilt insbesondere für Grund- und Oberschulen im ländlichen Bereich. Hier macht sich der Mangel an Lehrkräften besonders stark bemerkbar. Allein für das Schuljahr 2019/20 wurden 32 Seiteneinsteiger befristet eingestellt und 426 entfristet. Einrichtungen, in denen Seiteneinsteiger den Unterrichtsstoff vermitteln, sind also keine Seltenheit, sondern eher die Regel. Das gilt auch für die Rathenower Schulen. „Mathelehrer sind wie Goldstaub“: „Ausgebildete Mathematiklehrer zum Beispiel sind wie Goldstaub“, weiß Anke Koch. Die Schulleiterin des Jahngymnasiums ist froh, dass sie in dem Bereich gut aufgestellt ist. Ganz anders sieht es im Fach Informatik aus. Der Fachlehrer verabschiedete sich 2019 in den Ruhestand. Trotzdem die Suche nach einem Nachfolger vor Jahren begann, fand man keinen Fachlehrer. „Nun haben wir seit Beginn des Schuljahres einen engagierten Seiteneinsteiger, der aus dem Bereich Wirtschaftsinformatik kommt und berufsbegleitend pädagogisch ausgebildet wird“, so Anke Koch. Bisher waren Seiteneinsteiger am Jahngymnasium nur als Aushilfskräfte beschäftigt. „Sie waren alle engagiert und lernfähig, aber zum Teil auch überfordert mit den Anforderungen, die das System Schule mit sich bringt“, sagt Anke Koch und fügt hinzu: „Man darf nicht vergessen, dass es um viel mehr geht als nur um die Vermittlung von Wissen. Die Erziehung und das Vermitteln von Werten sind ebenso wichtig. Hinzu kommen weitere Pflichten, die der Schulalltag mit sich bringt. Es ist eine sehr vielfältige Aufgabe, die vermutlich oft unterschätzt wird.“ Auf den neuen Informatiklehrer des Jahngymnasiums trifft das nicht zu. Er hat den richtigen Draht zu den Kindern und nimmt zudem Hilfe und Rat an, wenn es darum geht den Unterrichtsstoff zu vermitteln, so Koch. Voraussetzung für den Seiteneinstieg in den brandenburgischen Schuldienst ist in der Regel ein Hochschul- oder Fachhochschulabschluss. Alle Seiteneinsteiger werden vor dem Einsatz an einer Schule oder berufsbegleitend mit einer pädagogischen Grundqualifizierung auf ihren Einsatz im Unterricht vorbereitet. Ziel von umfassenden Qualifizierungsmaßnahmen ist es, mittelfristig ein Ausbildungsniveau zu erreichen, das dem von grundständig ausgebildeten Lehrkräften entspricht – die Lehramtsbefähigung. Insbesondere für Grund- und Oberschulen, Sonderpädagogik sowie in der beruflichen Bildung werden Lehrkräfte gebraucht. Für Gesamtschulen und Gymnasien werden Seiteneinsteiger in Bedarfsfällen für die Fächer Mathematik, Physik, Chemie, Informatik, Kunst und Musik eingestellt. Läuft es weiterhin so gut, dürfte nach einem Jahr im Dienst einem unbefristeten Vertrag nichts entgegenstehen. Thomas Winterfeldt, Schulleiter an der Duncker-Oberschule hat schon mehrere Seiteneinsteiger begleitet. „Es ist keine optimale Lösung, aber wir können auch nicht darauf verzichten, denn die Konsequenz wäre Unterrichtsausfall“, so Winterfeld. Er hat die Erfahrung gemacht, dass es sehr engagierte und talentierte Seiteneinsteiger gibt, aber auch weniger geeignete – das gelte allerdings auch für ausgebildete Lehrkräfte. Wie viele Seiteneinsteiger an den einzelnen Schulen beschäftigt sind, dazu gibt es keine Auskunft. Die stellvertretende Pressesprecherin im Bildungsministerium, Antje Grabley, betont in diesem Zusammenhang, dass „die Zahl der Seiteneinsteiger an einer Schule, nichts über die Qualität des Unterrichts aussagt“. Das Thema wird heiß diskutiert: Zudem seien Seiteneinsteiger mit ihren Berufs- und Lebenserfahrungen eine Bereicherung für den Schuldienst. Auch an den Rathenower Grundschulen sowie an der Förderschule „Pestalozzi“ sind Seiteneinsteiger im Einsatz. Allerdings wollte sich keiner der Schulleiter zum Thema äußern. Noch keine Erfahrung mit Lehrkräften aus anderen Berufsfeldern hat die Bürgelschule. „Ich weiß aber, dass bei Schulleiter-Kollegen das Thema heiß diskutiert wird. Bisher haben wir Fachbedarfe immer mit ausgebildeten Lehrkräften besetzen können. Auf lange Sicht wird das nicht so bleiben“, ist sich der Schulleiter sicher. Von Christin Schmidt

Rathenow - Schulalltag: Ohne Seiteneinsteiger geht es nicht