Jugendliche für Politik zu begeistern ist im Allgemeinen genauso schwer, wie Senioren zu motivieren, sich bei Instagram anzumelden. Das zumindest ersteres gelingen kann, beweist der Verein „Politik zum Anfassen“. Dieser hatte 50 Schüler der drei weiterführenden Rathenower Schulen eingeladen, von Mittwoch bis Freitag Kommunalpolitik selbst zu gestalten.
Unter dem Motto: „Pimp your town“ –“Motz deine Stadt auf“ bildete jeweils eine Klasse der Bürgelschule, der Duncker-Oberschule und des Jahngymnasiums eine Fraktion. Den Vorsitz übernahmen echte Rathenower Abgeordnete.
Daniel Golze, Manfred Lenz, Karin Dietze und einige andere hatten sich dafür Zeit genommen hatten. Am Mittwochmorgen hielt sich die Begeisterung bei vielen Schülern noch in Grenzen. Das änderte sich, als sie eigene Wünsche und Ideen für ihre Stadt einbringen durften.
In kürzester Zeit sammelten die frisch gebackenen Lokalpolitiker mehrere hundert Vorschläge. Die besten wählten sie aus, um sie in Form von Beschlüssen auf die Tagesordnung der fiktiven Stadtverordnetenversammlung (SVV) zu setzen, die am Freitag im Saal der Musikschule den Abschluss des Projekts bildet.
Ganze 45 Beschlussvorlagen standen am Ende auf der Agenda, darunter Themen wie: Mehr Freizeitangebote für Behinderte, ein Badestrand neben der Mühle, mehr öffentliche Toiletten, Reparaturen an Kitas und Schulen, freies W-Lan, mehr Kontrollen auf dem Märkischen Platz und Kameras an Spielplätzen.
Die Mädchen und Jungen durften selbst entscheiden, mit welchen Themen sie sich am zweiten Tag intensiver befassen. Und dann ging es richtig los: Fraktions- und Ausschusssitzungen, Argumente sammeln, Ausschussmitglieder überzeugen und Mehrheiten bilden.
Das Planspiel ist bundesweit ein Erfolg
2006 gründeten Monika und Gregor Dehmel mit sechs weiteren Mitstreitern den Verein „Politik zum Anfassen“.
Mit Planspielen wollen sie zeigen, dass ganz unten, an der Basis unseres politischen Systems, spannende Dinge passieren und wichtige Entscheidungen getroffen werden.
Seit 2009 führt der Verein aus Niedersachsen deutschlandweit das Planspiel zur Kommunalpolitik durch.
Das Projekt ist ein absoluter Dauerbrenner, bisher wurde es etwa 65 Mal durchgeführt.
In Rathenow zeigten sich sowohl Schüler, als auch die Lehrer und die beteiligten Abgeordnete begeistert.
„So intensiv haben sich unsere Schüler vermutlich noch nie mit ihrer Stadt beschäftigt“, lautet das Fazit von Martin Hoffmann, Lehrer der Bürgelschule.
Initiator Mike Stampehl strebt schon jetzt eine Wiederholung an.
„Normalerweise wird Politik hinter verschlossenen Türen gemacht. Wir haben aber ganz bewusst diesen offenen Rahmen hier im Optikpark unter freiem Himmel gewählt“, erklärt Gregor Dehmel, Gründungsmitglied des Vereins „Politik zum Anfassen“.
„Wir führen das Projekt bewusst mit ganzen Klassen durch, um so auch die Schüler zu erreichen, die sich sonst nur schwer für etwas begeistern lassen“, so Dehmel weiter.
Zumindest in Rathenow ist das auch gelungen. Kein einziger Schüler meldete sich krank. Im Gegenteil, die Teilnehmer brachten sich ein und stellten fest, Politik ist gar nicht so langweilig wie sie dachten.
„Die Jugendlichen haben gemerkt, dass ihre Idee hier gehört werden. Dass es Sinn macht, sich für eine Sache einzusetzen und dass politisches Engagement durchaus etwas verändern kann“, resümiert Denise Jäkel vom Kinder- und Jugendparlament Rathenow (KiJuPa).
Sie und auch KiJuPa-Vorsitzende Frederike Timme beteiligten sich am Planspiel und waren vom Konzept sichtlich begeistert. Die jungen Frauen sind der Meinung, dass Kommunalpolitik im Unterricht viel zu kurz kommt. Deshalb sei es auch kein Wunder, dass sich Jugendliche kaum einbringen. „Sie wissen zwar wie der Bundestag funktioniert, kennen sich aber nicht mit Politik auf Stadtebene aus“, so Jäkel.
„Wir brauchen mehr Jugendliche in der Politik. Das KiJuPa ist gut und wichtig, aber wir brauchen auch junge Abgeordnete in der SVV“, betont Horst Schwenzer, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Stadtparlament. Dank des Planspiels kam er mit Schülern ins Gespräch und war begeistert, wie interessiert sie sind.
Das bestätigte auch Gregor Dehmel: „Rathenows Jugend ist durchaus an Politik interessiert. Außerdem kann die Stadt stolz sein, ein so gut funktionierendes KiJuPa zu haben. Das gibt es nur noch selten.“
Jugendlichen Kommunalpolitik näher zu bringen, ist ein Ziel des Planspiel. Ein anderes ist es, jugen Menschen zu zeigen, dass sie ernst genommen werden. Deshalb sollen die Beschlüsse, die am Freitag getroffen werden, später in die echte SVV eingebracht werden. „Das wäre wirklich wichtig, denn nur so erfahren unsere Schülern, dass sie etwas bewirken können“, sagt Martin Hoffmann, Lehrer der Bürgelschule.
Zu verdanken haben die Schüler den Ausflug in Politik der Partnerschaft für Demokratie Westhavelland und Nauen. Deren Koordinator, Mike Stampehl, hatte das Planspiel in Gardelegen erlebt. „Ich war davon so begeistert, dass ich es unbedingt auch für unsere Schüler anbieten wollte“. Dank der Fördermittel, die die Partnerschaft aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben“ in der Region verteilt, konnte nun auch das Planspiel finanziert werden.
Von Christin Schmidt