Das schönste Weihnachtsgeschenk: Unverhoffter Besuch aus Kanada

Geschenke zum Auspacken kennt jeder. Sie gehören zum Fest einfach dazu, genau wie der Braten und der Weihnachtsbaum. Über ein ganz anderes Geschenk freut sich in diesem Jahr eine havelländische Familie, die gerade unverhofft Zuwachs bekommen hat. Nein, kein Neugeborenes, sondern einen jungen Mann, der im fernen Kanada lebt und wie viele Havelländer bessarabische Wurzeln hat. Dallas Kruger ist in Lethbridge bei Calgary geboren, wuchs in der Nähe von Toronto auf und studiert nun in einer Kleinstadt in Bayern Softwaretechnik. Einen Monat hat er frei und wollte über die Feiertage eigentlich nach Hause fliegen, aber der Virus hat seine Pläne durchkreuzt. Statt in den Flieger nach Toronto stieg der 23-Jährige nun in den Zug nach Rathenow. Denn im Havelland leben zahlreiche Verwandte, die Dallas Kruger noch nie getroffen hat. Sein Opa Ewald Krüger hatte Ende des Zweiten Weltkriegs mit seinen Eltern und acht Geschwistern seine Heimat Bessarabien am Schwarzen Meer verlassen. Ein Bruder fiel im Krieg, alle anderen ließen sich nach einer mehrjährigen Flucht in Zootzen bei Friesack nieder. Lange blieb die Familie aber nicht zusammen. Eine Schwester zog später nach Potsdam, zwei Brüder verließen die DDR und ließen sich in Westdeutschland nieder, einer ging nach Thüringen, drei blieben im Havelland. Nur einen zog es in die Ferne. Ewald Krüger beschloss mit seiner Frau Adeline in Kanada sein Glück zu suchen. Knapp 60 Jahre später ist sein Enkelsohn nun zurückgekehrt. Von den einst neun Geschwistern, die aus Bessarabien ins Havelland kamen, leben heute nur noch zwei – der 86-jährige Ewald in Lethbridge und die 97-jährige Irma Rehfeld in Zootzen. Fast 8000 Kilometer und ein Meer trennen die beiden. Dallas Kruger – in Kanada ist aus Krüger Kruger geworden – hat sich in den vergangenen Tagen in der Region umgeschaut und wandelte mit Sieglinde Schmidt, der Nichte seines Opas, auf den Spuren der Vergangenheit. Unter anderem haben sie in Friesack jenes Haus besucht, in dem Rainer Kruger, der Vater des jungen Kanadiers, und Sieglinde Schmidt geboren wurden. In Zootzen ließen sie sich durchs Dorf führen und Wolfgang Rehfeld zeigte ihnen, in welchem Haus Ewald Krüger früher lebte. Auch die 97-Jährige Irma Rehfeld kam ans Wohnzimmerfenster, um dem Besucher aus Kanada wenigstens Hallo zu sagen. Keine Verständigungsprobleme: Einen ganzen Nachmittag verbrachte Dallas Kruger in Schönholz um weitere Neffen und Nichten seines Opas und deren Kinder kennenzulernen. „Das war ein sehr schönes erstes Treffen. So, als würde man sich schon länger kennen. Ich hoffe, ihn haben die vielen neuen Gesichter nicht überfordert“, sagt Bettina Sawall. Sie hatte 2006 einen Teil der kanadischen Verwandtschaft in Lethbridge besucht. Obwohl Dallas Kruger erst seit wenigen Monaten in Deutschland ist, spricht und versteht er die Sprache bereits sehr gut. Verständigungsprobleme gibt es keine, zumindest nicht im Havelland. „In Bayern sind die Menschen leider zum Teil sehr schwer zu verstehen“, gesteht Dallas Kruger. Er ist froh, dass er sich auf den Weg nach Brandenburg gemacht hat und kann noch gar nicht fassen, wie viele Verwandte er hier hat. Wenngleich es nicht die beste Zeit für ein Familientreffen ist, gelohnt hat sich die Reise für ihn alle mal. Kanada und das Havelland sind nicht so unterschiedlich: Mindestens drei Jahre wird er in Deutschland bleiben und ist sich schon jetzt sicher, das Havelland besucht er noch öfter. Zumal es für den Kanadier von Bayern bis nach Rathenow nur ein Katzensprung ist. Aufgefallen ist dem jungen Mann, dass es gar nicht so große Unterschiede gibt zwischen seiner Heimat und der Heimat seiner neuen Familie – weder was die Weihnachtstradition betrifft, noch das Leben im Allgemeinen. „Vieles ist ähnlich. Außer, dass wir zu Hause die Geschenke erst am 25. Dezember auspacken. Und die Städte hier sind älter und schöner“, gesteht der junge Kanadier. Für Sieglinde Schmidt ist der unverhoffte Besuch aus Kanada das schönste Weihnachtsgeschenk. „Einen Enkel meines Onkels kennenzulernen ist wunderbar. Das musste endlich mal passieren. Man spürt sofort, dass er zur Familie gehört“. Von Christin Schmidt