Wie die Agrargenossenschaft Gülpe ohne Milch das Geschäft rettet

Es klingt wie eine Plattitüde, ist aber wahr: „Ohne Kuhzunft keine Zukunft.“ Der Schriftzug an der Stallwand auf dem Betriebshof Wolsier der Agrargenossenschaft (AG) Gülpe stammt aus Zeiten, die den Landwirten fremd geworden sind. Denn Kühe sind nicht mehr im Stall. Die AG hat die Milchproduktion aufgegeben, wie zuvor schon weitere Betriebe im Landkreis Havelland. Als „Weißes Gold“ der Bauern wurde die Milch einst gepriesen. Davon ist schon längst nichts mehr zu spüren. Die Milch ist für die Betriebe vielmehr zum Ballast geworden. Tradiotionsbetrieb: Ein viel zu niedriger Milchpreis, steigende Produktionskosten und ein hart umkämpfter Milchmarkt gehören zu den vielschichtigen Ursachen. Auch die AG Gülpe bekam dies zu spüren. Eine Landwirtschaft ohne Milchproduktion können sich sicherlich viele Havelländer nicht vorstellen. Die Milchproduktion hat Tradition in der Region. „Es gibt aber auch eine wirtschaftliche Verantwortung für die Agrargenossenschaft“, sagt Geschäftsführer Enrico Voigt. Und dieser Verantwortung dürfe man sich nicht verschließen. So hat die Mitgliederversammlung der AG beschlossen, die Milchproduktion einzustellen. Der Betrieb hatte zuletzt noch 270 Milchkühe, von denen noch 210 gemolken wurden. Die AG konnte die komplette Herde nach Polen verkaufen. Ende letzter Woche hat ein Viehhändler die letzten Tiere aus Wolsier abgeholt und auf einen Hof nahe Posen gebracht. Das EU-Nachbarland bietet seinen Landwirten Voraussetzungen für eine rentable Milchwirtschaft. Der AG Gülpe hingegen brachte die Milch jährlich einen sechsstelligen Minusbetrag ein. Oder noch anschaulicher dargestellt sagt Enrico Voigt: „Wenn die Milchtanker vom Hof fahren verlieren wir täglich 300 Euro.“ Die Gülper haben von ihrer Molkerei zum Schluss 31,5 Cent je Kilogramm . 36 Cent wären für eine kostendeckende Milchproduktion notwendig gewesen, erklärt der Geschäftsführer. Die Aufgabe der Milchproduktion hat nun auch deutliche Auswirkungen auf die Personalentwicklung. Die AG musste fünf Mitarbeiter entlassen, zwei Mitarbeiter gingen in Rente. Es gibt noch weitere Auswirkungen. Infolge der Milcheinstellung haben Klauenpfleger, Schrotmühlenbetreiber, Tierarzt und weitere Dienstleister weniger Aufträge und damit geringere Einnahmen. Neue Nutzung: Die AG nutzte für die Milchproduktion zwei Ställe und ein Melkhaus. Den bereits sanierten Stall wird die AG nun für die Rindermast und Mutterkuhhaltung mit 180 Tieren nutzten. Der zweite Kuhstall wird zum Schweinestall hergerichtet, mit Ausläufen und Sattel. 70 Sauen sorgen bei der AG für Nachwuchs. Das Fleisch dieser Tiere wird in den drei betriebseigenen Läden direkt angeboten. 1050 Schweine sind es insgesamt, vom Spanferkel bis zum Mastschwein. „Wir wollen die Direktvermarktung konsolidieren und damit auch einen gewissen Ausgleich zur Milch schaffen“, erklärt Voigt. Das Futtergetreide für die Milchkühe wird die AG zukünftig als Brotgetreide verkaufen. Der Betrieb hat 1630 Hektar Land. 740 Hektar sind Naturschutzgrünland. Landschaftsschutz soll bei der Agrargenossenschaft einen neuen Stellenwert bekommen – mit Kopfweidenpflege, Heusaaten und Blühflächen. Von Norbert Stein