Lost-Place-Hunter: Diese beiden Elstaler jagen nach verlassenen Orten

Mitten im Wald an der Döberitzer Heide, zwischen Priort und Elstal, liegt sie da, einfach so: Eine Uralt-Straßenbahn, Modell Lowa TW 20, gebaut Anfang der 50er -Jahre. In den 70er-Jahren ausgemustert, ausgeschlachtet und schließlich im Forst entsorgt. Seitdem rostet das Gerüst vor sich hin, längst von der Natur zurückerobert. Genau das ist es, was Christian Wessel (37) und Michael Liebert (35) fasziniert. Die beiden Elstaler gehen auf die Jagd nach eben solchen verlassenen Orten, „Lost Places“ genannt. Vor allem der Reiz des Unbekannten ist es, der sie antreibt, sagen sie. „Man weiß ja im Grunde nie wirklich, was einen vor Ort erwartet.“ Alte Häuser, Anwesen, Hallen oder auch Bunker, deren beste Zeiten lange vorbei sind und die heute vor sich hin verwittern. Mit ihren Kameras ziehen die beiden regelmäßig los – wenn nicht gerade Corona das öffentliche Leben lahmlegt. In den verfallenen Gebäuden suchen sie nach Überbleibseln und Motiven, die sie auf Fotos festhalten. Vor sechs Jahren begann die Leidenschaft der beiden Familienväter, die seit fast zehn Jahren miteinander befreundet sind. Über die Arbeit haben sie sich kennengelernt, beide sind als Erzieher für die Gemeinde Schönwalde-Glien tätig. Als Michael Liebert vor einigen Jahren nach Elstal zog, war das für den „Lost Place“-Jäger regelrecht ein Umzug ins Paradies. Von seinem Haus aus hat er die alten Flakhallen am Ortseingang täglich im Blick. Nur wenige Minuten Fußweg entfernt erstreckt sich das Gelände des ehemaligen Olympischen Dorfes in Elstal mit seinen historischen Gebäuden. Mit der ehemaligen Heilstätte in Beelitz fing die Leidenschaft für das Erkunden alter Liegenschaften damals an. „Beelitz ist inzwischen Tourismus pur“, sagt Christian Wessel bedauernd. „Aber auch wir haben dort erste Erfahrungen gesammelt, die in uns den großen Reiz nach mehr ausgelöst haben.“ So großen Reiz, dass sie anschließend nicht mehr davon lassen konnten. „Wir haben angefangen zu recherchieren, wo es weitere solcher Orte gibt, die wir erkunden können“, erinnert sich Michael Liebert. Anfänglich im Umkreis ihrer Heimat – „allein in unserem Radius von 200 Kilometern gibt es unzählige solcher ,Lost Places’“, sagt der 35-Jährige. Zu finden seien die meisten gar nicht so einfach. Denn die genauen Ortsangaben werden weder öffentlich gehandelt noch groß verbreitet, um die alten Gebäude vor dem Ansturm von Menschen zu schützen. „Lost Places zu fotografieren ist inzwischen ein richtiger Trend und echter Mainstream geworden“, findet Christian Wessel. Ein Umstand, mit dem die beiden sich jedoch mitnichten identifizieren. „Natülich erkunden wir die Orte auch, um Fotos zu machen. Genauso interessiert uns aber auch die Geschichte dahinter“, sagt Michael Liebert. Geschichtsinteressiert sei er immer schon gewesen, doch so richtig gepackt habe ihn das Recherchieren erst in den vergangenen Jahren. „Seitdem wir durch die Lost Places direkt in Berührung mit so alten Gebäuden gekommen sind. Das ist wie gelebte Geschichte“, findet er. Rund 50 bis 60 solcher Orte haben die beiden bereits besucht. Vor allem alte Militärliegenschaften finden sie spannend, aber auch ehemalige Bunker, verwitterte Sportanlagen oder alte Industrieanlagen. Besonderen Eindruck hat ein unterirdisches Treibstofflager hinterlassen. „Die riesigen Tanks unter der Erde, 20, 25 Meter hoch – das war ebenso faszinierend wie unheimlich“. Während sich Christian Wessel vor allem für Dachkonstruktionen in den verwitterten Häusern begeistert („Es beeindruckt mich immer wieder, wie sich die Natur dort die Gebäude zurückerobert.“), ist Michael Liebert auf der Suche nach alten Wandbemalungen. „In ehemaligen Militärliegenschaften haben wir schon so einige gefunden“, sagt er. Das Thema fasziniert den 35-Jährigen so sehr, dass er über das Internet inzwischen gar Kontakte zu ehemals in Deutschland stationierten russischen Veteranen aufgenommen hat und in regelmäßigem Austausch steht. „Die freuen sich tatsächlich, wenn sie hören, dass auf dem Gelände etwas passiert, wie jetzt hier bei uns in Elstal“, berichtet er. Auch alte Postkarten aus Elstal, Dallgow-Döberitz und der Region sammelt er inzwischen: „Es macht unglaublich viel Spaß, damit Vorher-Nachher-Situationen einzufangen“, sagt er voller Begeisterung. So sehr die beiden die Jagd nach dem besonderen Foto von verlassenen Orten lieben – der Respekt vor dem Eigentum anderer ist größer. „Gelände, zu denen der Zutritt verboten ist, betreten wir auch nicht“, sagt Christian Wessel. Dass viele Lost-Place-Jäger dies nicht tun, wissen sie, sagen aber zugleich: „Kein Bild ist es wert, dafür Gesetze zu brechen.“ Neben dem Reiz, verwitterte Orte zu durchstreifen, ist bei den beiden Elstalern stets auch die Achtung vor den Gebäuden und deren Geschichte an Bord. „Unser Motto ist: Hinterlasse nichts außer deinem Fußabdruck, nehme nichts mit außer einem Foto“, sagt Wessel. Ihre Fotos – hunderte bringen sie von ihren Ausflügen mit – teilen sie im Internet auf Facebook und Instagram unter „ havelKAMERAden “. Der nächste große Traum, der nächste Ausflug nach Corona? „Wir wollen unbedingt nach Belgien. Dort gibt es nach der Landflucht in die Städte eine Menge verlassener Orte“, sind sich die beiden einig. Das Profil auf Facebook: www.facebook.com/havelKAMERAden Das Profil auf Instagram: www.instagram.com/collageofhistory Von Nadine Bieneck