Hennigsdorf: Geheime DDR-Grenzkarte taucht nach 60 Jahren auf

Was 60 Jahre versteckt in einem Koffer und später in einer Schublade lag, soll ab April 2021 für die Öffentlichkeit zu besichtigen sein. Es ist eine originale DDR-Einsatzkarte für die Kampf- und Grenztruppen. Bis aufs Kleinste detailliert, zeigt das heute kostbare Dokument den etwa sechs Kilometer langen Grenzverlauf samt zwei Grenzposten zwischen der später gesprengten S-Bahnbrücke Hennigsdorf über Nieder Neuendorf bis nach Papenberge. Die Grenze führt auch teils durch die Havel, wo sich die Schiffsleichen befinden. Zu DDR-Zeiten waren dort einst Schiffe versenkt worden, um als Grenzbarriere Republikflüchtige aufzuhalten (MAZ berichtete). Einem ungewöhnlichen Zufall ist es zu verdanken, dass die alte DDR-Einsatzkarte noch erhalten ist – andere Dokumente dieser Art sollen längst vernichtet worden sein. Die Karte war „verschusselt“ worden und tauchte dann später wieder auf. „Mein Vater Fredi Horn war mit einer der ersten, die 1953 in die Kampftruppen eintraten“, sagt Dr. Andreas Horn (59), der im Deutschen Bundesarchiv als Referatsleiter tätig ist. Der Archivar hat die letzten 30 Jahre die Karte im Schubfach zu Hause aufbewahrt. Einst hatte sie ihm sein Vater zum 30. Geburtstag geschenkt und der wiederum hatte sie 30 Jahre vorher in seinem Keller in Hennigsdorf aufbewahrt. Denn Fredi Horn war bei der DDR-Kampftruppe auch für die Aufbewahrung der Einsatzkarten sowie für das allgemeine Meldewesen zuständig. Am 13. August 1961 war seine Einheit nach Bärenklau versetzt worden und Fredi Horn half als Hennigsdorfer, gelernter Möbel- und Modellbau-Tischler im Grauguss-Werk Velten sowie als ehrenamtliches Mitglied der Kampftruppe mit, besagte Karte samt Grenzverlauf zu erstellen und später auch zu verwalten. Die geheime Grenzkarte wurde „verschusselt“: „Doch aus ungeklärten Gründen war die Karte im August 1961 plötzlich verschwunden“, sagt Archivar Andreas Horn. „Es gab nur zwei Ausführungen.“ Stasi, Volkspolizei und Co. rückten an, um Kampfgruppen-Mitglied Fredi Horn in die Mangel zu nehmen. „Er musste in siebenfacher Ausführung nachweisen, dass er die Karte nicht an den Klassenfeind übergeben hatte“, sagt Andreas Horn. Schließlich wurde eine neue Karte erstellt. Und dann das Unglaubliche: Drei Monate später tauchte die vermisste Karte wieder auf. „Mein Vater fand sie beim Putzen des Kampfgruppen-Jeeps. Sie war aus unerfindlichen Gründen in die Wagenkarosserie gerutscht“, sagt Andreas Horn. Pflichtbewusst meldete sein Vater das Wiederauftauchen. Doch sein Vorgesetzter entschied: Es sei zu schwierig, Stasi und Co das zu erklären. Fredi Horn sollte die Karte vernichten. Doch das brachte er nicht fertig, hob sie gemeinsam mit der 13bändigen Ausgabe von Stalins Reden, der dreibändigen Ausgabe von Luxemburgs Reden und Reden von Wilhelm Pieck in einem Koffer im Keller auf. Ab April 2021 soll sie im Grenzturm-Museum zu sehen sein: „Zu meinem 30. Geburtstag habe ich mich mit meinem Vater im Café der Hennigsdorfer Fontanestraße getroffen“, erinnert sich Andreas Horn. „Dort hat er mir die Karte geschenkt und seine schriftlichen Erinnerungen über meine Kindheit“, sagt Andreas Horn. Weitere 30 Jahre lag sie dann bei dem Archivar zu Hause in Berlin in der Schublade, bis ein neuer Zufall ihn auf die Idee brachte, sie dem Hennigsdorfer Stadtarchiv zu schenken. Denn das betreut die Ausstellungen im Museumsgrenzturm am Mauerradweg in Nieder Neuendorf. „Eigentlich sollte im Grenzturm unser Klassentreffen starten“, sagt Andreas Horn. Das Klassentreffen fiel zwar aufgrund Corona aus, aber als der Archivar das Grenzturm-Museum jetzt besuchte, wusste er: Die alte Grenzkarte gehört dort hin. Per Mail nahm er im Juli Kontakt zu Stadtarchiv-Leiterin Anke Kaprol-Gebhardt auf. „In der nächsten Saison wird die Karte in der Ausstellung im Grenzturm zu sehen sein“, sagt sie. Von Jeannette Hix