Corona-Lockdown: Oberhavels Tätowierer in der Krise

Wo sich sonst Kunden bunte Bilder unter die Haut stechen lassen herrscht seit Monaten gähnende Leere. Die Oberhaveler Tattoostudios sind verwaist, für einige der Hautkünstler führen die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie zu einer handfesten Krise. So wie bei Angelique Borchert und Dominique Seber aus Gransee vom Studio Farbeffekt Tattooing, Piercing and Streetwear. Das Paar hat das gemeinsame Studio erst am 4. Januar 2020 eröffnet. „Wir haben alle ersparten Rücklagen in den Laden gesteckt, um eröffnen zu können“, berichtet Angelique verzweifelt. Zeit reichte nicht aus, um Reserven anzulegen: Die Familie läuft finanziell „mehr als auf dem Zahnfleisch“, wie sie sagt. Zuerst brachen im Februar die Tattooconventions weg – eine Art Messe, auf der Tätowierer, zum Teil auch im Ausland, ihre Dienste anbieten. „Das war unsere Haupteinnahmequelle“, sagt die junge Frau. Im März zwang sie der erste Lockdown zur Schließung des Studios. Auch als die Studios im August wieder öffnen dürften, sei das Geschäft in den ersten vier Wochen sehr schleppend gelaufen. „Viele Kunden waren und sind verängstigt, wieder andere sind selbst mit Geld knapp, weil sie in Kurzarbeit sind“, berichtet die Mutter einer Tochter. Mit der Wiederaufnahme der Tattooconventions füllten sich die Auftragsbücher. „Die Leute haben uns die Bude eingerannt“, erinnert sich die Granseerin. Drei Monate konnte das Paar arbeiten. „Mit den Einnahmen haben wir bezahlt, was im ersten Lockdown liegen blieb“, sagt sie. Für Angelique und Dominique selbst sei nur ein kleines Gehalt übrig geblieben. „Gerade als Familie ist das sehr schwierig.“ Man hätte noch zwei, drei Monate zusätzlich gebraucht, um finanziell wieder auf die Beine zu kommen. Doch dann folgte Lockdown zwei. Mittlerweile sei die Situation existenzbedrohend, sind sich beide einig und kritisieren dabei auch die Strategie der Bundesregierung beim Thema Soforthilfen. „Die Hilfen werden erst Monate später ausgezahlt, und dann auch nur Abschläge. Den Rest gibt es erst nach eingehender Prüfung“, berichtet Angelique ihre Erfahrungen. So habe man die November-Hilfe erst Ende Dezember erhalten, aber auch nicht in voller Höhe. „Dazu kommt, dass jeder Antrag durch einen Steuerberater gestellt werden muss. Und das tut er erst, nachdem die Kosten dafür im hohen dreistelligen Bereich beglichen wurden.“ Außerdem gebe es keine Soforthilfe, wenn man Gutscheine oder andere Dinge aus dem Geschäft verkauft. Höchster Hygienestandard in den Studios: „Beim ersten Lockdown konnten wir noch Hartz4 beantragen, aber auch da blieben uns als Familie am Ende nur etwa 200 Euro.“ Freunde und Familie unterstützen das Paar während dieser schwierigen Zeit. „Aber so geht es natürlich auch nicht auf Dauer“, stellt Angelique Borchert klar. Warum gerade Tattoostudios schließen müssen, verstehen die beiden nicht. „Wir haben maximal drei Kunden am Tag, immer mit einer Stunde Pause. Da wird der Laden desinfiziert und gelüftet, wir haben einen der höchsten Hygienestandards, die es gibt“, erklärt sie. Die Folgen werden in den Tätowierer-Kreisen immer deutlicher. „Selbst alteingesessene Artists geben auf“, berichtet die junge Mutter. Einen Lichtblick hat die Familie dennoch: „Beim Studio haben wir den besten Vermieter, den es gibt“, zeigt sie sich dankbar. „Wir müssen ihn seit Monaten hinhalten, und er fragt nicht mal nach der Miete.“ Er habe so viel Verständnis. „Ohne ihn wäre ein Durchhalten gar nicht denkbar.“ Doch eines steht für die Granseer fest: „Wir haben uns geschworen, eisern durchzuhalten.“ „Wir sind eben nicht wichtig“: Auch für Tom Hinze, Inhaber des Oranienburger Tattoostudios Art of Paint, ist die Situation keine einfache. „Wir sind eben nicht wichtig, nur darum geht es – dass bei uns aber auch Existenzen dranhängen, das scheint irgendwie niemanden zu interessieren“, sagt er nicht ohne Verbitterung. Jeder der vier Künstler des Studios muss die Soforthilfen selbst beantragen, sind doch alle Solo-Selbstständige. Tom Hinze hat sogar einen Anwalt eingeschaltet und gegen das Öffnungsverbot geklagt, jedoch ohne Erfolg. Sein Antrag wurde vom Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen, Rechtsmittel dagegen gibt es nicht. „Die Situation ist bei vielen Studios, vor allem den kleineren, existenzbedrohend“, sagt er ganz klar. Es sei ja schon beim ersten Lockdown so gewesen, dass viele ihre privaten Reserven aufgebraucht haben. „Die Soforthilfen dürften ja da nur für Dinge verwendet werden, die auch das Geschäft betreffen“, erklärt er. Natürlich sei die Viruspandemie da, das sieht auch Tom Hinze so. „Aber der Lockdown scheint ja auch nicht die gewünschten Effekte zu bringen“, sagt der Tätowierer mit Hinblick auf weiterhin volle Busse, Bahnen und Büro. „Unsere Hygieneanforderungen sind enorm hoch, durch unser Bestellsystem sind sich auch die Kunden gar nicht im Studio begegnet, alle Kontakte waren über Listen nachvollziehbar“, erläutert er. Man habe alle Richtlinien und Hygienekonzepte umgesetzt. „Und trotzdem waren wir die ersten, die gleich wieder schließen mussten.“ Kein Ende in Sicht: Wie Tom Hinze erklärt, werden mit der neuen, seit Januar gültigen Verordnung nur noch 90 Prozent der geschäftlichen Fixkosten erstattet. „Der Selbstständige muss also zum einen die restlichen zehn Prozent selbst tragen, zum anderen seine privaten Kosten. Das dürfte wohl bei einigen zu schlaflosen Nächten führen“, mutmaßt er. Zudem sei auch kein Ende des verordneten Öffnungsverbotes in Sicht. „Da wir auch vermutlich zu den letzten gehören, die wieder aufmachen, wird es auch Studios geben, die es nicht überstehen.“ Artists kämpfen ums Überleben: Null Einnahmen, aber die festen Ausgaben laufen weiter - so geht es auch Christoph Sauer aus Zehdenick, Inhaber des Royal Classic Tattoostudios. „Gerade jetzt zu Jahresanfang stehen auch noch Steuern und Versicherungen an, wenn es da Nachzahlungen gibt, könnte das einigen schwer auf die Füße fallen“, sagt er. Erst im Januar 2019 hat er ein Studio eröffnet. „Ich bin gerade richtig angekommen und habe mir einen festen Kundenstamm aufgebaut“, resümiert der Zehdenicker. Wie lange er die Situation noch durchhält, sei eine gute Frage. Man kämpfe sich so durch, so Christopher. Er hofft auf weitere Hilfspakete der Regierung. „Aber das muss dann auch ausgezahlt werden, nicht nur teilweise, so wie jetzt.“ Von Stefanie Fechner