Eine Lanze für die Stadttauben: Woher kommen all die Vorurteile? Und was ist an ihnen dran?

Als „Ratten der Lüfte“ werden sie oft alles andere als schmeichelhaft bezeichnet. Die Rede ist von Stadttauben, die insbesondere in Großstädten, aber auch kleineren Ortschaften die Menschen immer wieder gegen sich aufbringen. Völlig zu Unrecht, sagt Doreen Rothe. Die passionierte Tierschützerin entdeckte vor mehr als 20 Jahren ihr Herz für die gefiederten Zweibeiner und kümmert sich vielseitig um die geächteten Tiere. „Neben den Nutztieren sind Tauben die Tiere, die am meisten unter ihren Lebensbedingungen leiden“, sagt die 47-Jährige. Eine große Rolle dabei würden viele Vorurteile spielen, die insbesondere über Stadttauben im Umlauf seien, findet sie. „Man muss wissen: Stadttauben sind keine Wildtiere. Vielmehr handelt es sich dabei um Tiere, die ursprünglich von Menschen gezüchtet und letztlich in der Natur gelandet sind.“ Das reiche von Hochzeitstauben über Brieftauben bis hin zu gezüchteten Rassetauben, die aus verschiedensten Gründen nicht mehr unter dem Dach ihrer Züchter leben. „Ihren Ursprung haben Stadttauben natürlich in den Wildtauben. Vor vielen hundert Jahren wurden sie aus diesen domestiziert, unter anderem um aus ihnen Eier, Fleisch und auch das Federkleid zu gewinnen“, weiß Doreen Rothe. Im Verlauf der Geschichte seien die Tiere gar darauf gezüchtet worden, besonders häufig Eier zu legen. Ein Umstand, der heute zu ihrem schlechten Ruf beiträgt. Denn gerade die mutmaßlich unkontrollierbare Vermehrung – Stadttauben brüten bis zu sieben Mal jährlich – bringt den Tieren ihren schlechten Ruf ein. Jedoch nicht nur: „Viele Menschen haben Angst davor, dass Tauben Krankheiten übertragen. Warum das so ist, lässt sich gar nicht so einfach erklären, denn im Grunde ist an diesem Vorurteil nichts dran.“ Als Beispiel nennt die Tierexpertin die Übertragung von Salmonellen: „Die Salmonellen, die Tauben befallen, sind taubenspezifisch und damit für den Menschen völlig harmlos.“ Ähnlich sei es mit vielen anderen vermeintlichen Krankheitserregern, von Pilzen über Bakterien bis hin zu anderen Parasiten. „Bei einer Vielzahl dieser vermeintlichen Auslöser für Krankheiten werden diese von Tauben gar nicht übertragen oder aber sie sind für den Menschen harmlos.“ Die 47-jährige Taubenexpertin wünscht sich daher, dass mehr Menschen sich mit der Thematik beschäftigten. „Warum viele Menschen so eine große Abscheu gegen Tauben hegen, kann verschiedene Gründe habe“, sagt sie. „Die Tiere kommen bei ihrer Suche nah an die Menschen, sie treten oft in Gruppen auf, flattern mit ihren Flügeln und sind verhältnismäßig groß. Außerdem fressen sie oftmals Abfälle oder halten sich in der Nähe von Abfällen auf. Viele Menschen finden Vielzahl dieser Erscheinungen eklig oder abstoßend.“ Immer wieder weisen die Vögel zudem schwere Verletzungen auf. Auf dem Gnadenhof in Wensickendorf päppeln die Tierschützer regelmäßig Tauben mit gebrochenen Flügeln oder verstümmelten Füßen auf. „Die Tiere verfangen sich im Müll, den die Menschen achtlos wegwerfen und können sich daraus nicht mehr selbst befreien. Oder aber sie bleiben in Netzen, die zum Schutz gegen Tauben gespannt werden, hängen, schnüren sich dabei die Beine ein, die dadurch verkrüppeln oder gar absterben“, berichtet Steven Giese, der sich ebenso wie Doreen Rothe liebevoll um derart verletzte Vögel kümmert. Problematisch ist auch die Futtersituation für die Tiere. So finden Tauben in Städten kaum artgerechtes Futter, sind sie doch Körnerfresser. „Die Abfälle der Menschen sind oft die einzige Nahrungsquelle“, weiß Doreen Rothe. Hinzu kommt: Tauben sind Felsenbrüter. „Sie bauen ihre Nester nicht in Bäumen, sondern ausschließlich in gebäudeähnlichen Strukturen. Die finden sie nicht in Wäldern, sondern in Städten.“ Die Tiere seien enorm standorttreu, bewegen sich nur in einem kleinen Radius von „etwa zwei Kilometern. Sie fliegen nur viel und weit, wenn sie wirklich müssen“. Die beste Möglichkeit, das Leid der Tiere laut Tierschützern zu vermindern ist es, „Tauben in kontrollierten Taubenschlägen zu halten, artgerecht zu füttern und ihre Vermehrung dort zu kontrollieren“, sagt Doreen Rothe. Damit wurden die Tiere aus den Ballungszentren der Städte gezogen, „wo sie nun mal unerwünscht sind und stören“. Von Nadine Bieneck

Oberhavel - Eine Lanze für die Tauben